07.01.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Vollstreckbarerklärung öffentlicher Urkunden nach dem LGVÜ

Auch bei öffentlichen Urkunden ist - wie bei gerichtlichen Entscheidungen - der Nachweis der Zustellung der den Titel bildenden öffentlichen Urkunde an den Verpflichteten erforderlich


Schlagworte: Europäisches Zivilprozessrecht, Anerkennung, Vollstreckbarerklärung, öffentliche Urkunde, Nachweis der Zustellung
Gesetze:

Art 47 LGVÜ, Art 50 LGVÜ

GZ 3 Ob 155/09d, 22.10.2009

OGH: Nach Art 50 Abs 3 LGVÜ sind auf die Vollstreckbarerklärung von Urkunden die Vorschriften des 3. Abschnitts des Titels III "sinngemäß" anzuwenden, wozu ua auch Art 47 Nr 1 LGVÜ zählt. Demnach hat die Partei, die Zwangsvollstreckung betreiben will, die Urkunden vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass die Entscheidung vollstreckbar ist und dass sie zugestellt worden ist.

Die Vollstreckbarkeit in Deutschland nachweisenden Urkunde muss nicht unbedingt auf einem separaten Schriftstück vorliegen. Zur Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen nach dem EuGVÜ entschied der EuGH, es könne der Nachweis der Zustellung derselben, wenn die nationalen Verfahrensvorschriften es gestatten, nach Einreichung des Antrags, auch während eines Rechtsbehelfsverfahrens, erbracht werden, sofern der Schuldner über eine angemessene Frist verfüge, um dem Urteil freiwillig nachzukommen. Im vorliegenden Verfahren wird nun von der betreibenden Partei gar nicht geltend gemacht, dass eine nachträgliche Zustellung erfolgt wäre; nach Auskunft des Erstgerichts wurde von diesem der Titel dem Verpflichteten nicht zugestellt. Dass vorher eine solche Zustellung nicht erfolgte, ist nicht strittig.

Der Charakter der öffentlichen Urkunde, nämlich eines Schuldanerkenntnisses, bei dem die absolute Fälligkeit der Forderung dem Schuldner - anders als bei gerichtlichen Entscheidungen - von Anfang an bekannt war, ermöglicht keine Auslegung (bzw teleologische Reduktion) des Art 50 Abs 3 iVm Art 47 Nr 1 LGVÜ dahin, es könne in sinngemäßer Anwendung der letztgenannten Norm auf den Nachweis der Zustellung der den Titel bildenden öffentlichen Urkunde an den Verpflichteten verzichtet werden.

Im Anwendungsbereich des LGVÜ kann sich ein Schuldner darauf verlassen, er werde vor Einleitung der Zwangsvollstreckung den Exekutionstitel (allenfalls noch einmal) übermittelt bekommen und dann noch eine angemessene Frist zur freiwilligen Erfüllung zur Verfügung haben.