28.01.2010 Verfahrensrecht

OGH: Wiederaufnahme - zur Problematik der Unvollständigkeit der Grundlagen eines im Vorprozess eingeholten Sachverständigengutachtens

Beruht ein im Vorprozess erstattetes Sachverständigengutachten auf einer unzulänglichen Grundlage, war somit die Entscheidungsgrundlage noch nicht vollständig, kann auch Umständen, durch welche die Urteilsgrundlage vervollständigt wird, die Eignung als Wiederaufnahmsgrund nicht von vornherein abgesprochen werden


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Rechtsmittel, Wiederaufnahme des Verfahrens, Sachverständigengutachten
Gesetze:

§ 530 ZPO

GZ 7 Ob 183/09a, 18.11.2009

OGH: Der vom Kläger geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund der Auffindung neuer Tatsachen und Beweismittel (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) soll der materiellen Wahrheit in jenen Fällen zum Durchbruch verhelfen, in denen die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen (Urteilstatbestand) unrichtig oder unvollständig waren. Zwar hat der OGH wiederholt ausgesprochen, dass etwa ein nachträglich beigebrachtes Gutachten ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine neue Tatsache und auch kein neues Beweismittel darstellt, wenn das Thema des Gutachtens bereits im Hauptprozess bekannt war. Die gegenteilige Ansicht hätte nämlich zur Folge, dass Prozesse, in denen ein Sachverständigenbeweis beantragt hätte werden können, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei nachträglich ein ihrem Standpunkt günstiges Gutachten vorlegen kann, aber auch Prozesse, in denen ein Sachverständigenbeweis bereits durchgeführt wurde, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei ein Gutachten vorlegt, das von dem des bestellten Sachverständigen abweicht. Beruht ein im Vorprozess erstattetes Sachverständigengutachten jedoch auf einer unzulänglichen Grundlage, war somit die Entscheidungsgrundlage noch nicht vollständig, kann auch Umständen (etwa einem nachträglich erstatteten Gutachten), durch welche die Urteilsgrundlage vervollständigt wird, die Eignung als Wiederaufnahmsgrund nicht von vornherein abgesprochen werden. Nur die neu aufgefundenen Tatsachen (§ 530 Z 7 ZPO), nicht aber auch die neuen Beweismittel müssen bereits bei Schluss der mündlichen Verhandlung des Hauptprozesses vorhanden gewesen sein.