11.03.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Bindungswirkung einer Vorentscheidung

Für die Reichweite der Bindung an eine Vorentscheidung ist grundsätzlich der Spruch der älteren Entscheidung maßgebend; für dessen Auslegung sind aber erforderlichenfalls die Entscheidungsgründe heranzuziehen


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Vorentscheidung, Bindungswirkung, Reichweite
Gesetze:

§ 411 ZPO

GZ 17 Ob 28/09f, 16.12.2009

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Vertrag über die Beteiligung an den Erträgen eines Patents geltend. Im Revisionsverfahren sind das Begehren auf Feststellung, dass dem Kläger 3 % der Erträge "aus dem Verkauf von Maschinen sowie Hilfs- und Betriebsstoffen" zustünden, die "im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung" des Patents erzielt würden, und ein auf diese Erträge gerichtetes Rechnungslegungsbegehren strittig. Der Kläger hat in einem Vorverfahren gegenüber dem Beklagten die inzwischen rechtskräftige Feststellung erwirkt, dieser hafte ihm für "3 % der gesamten Beteiligungserträgnisse" des Patents. Nach seiner Auffassung erfasst die Bindungswirkung dieser Entscheidung auch die hier strittigen Erträge.

OGH: Bei der Bindungswirkung handelt es sich ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft. Sie äußert sich dahin, dass das Gericht zwar über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen hat, dabei aber die rechtskräftige ältere Entscheidung zugrunde legen muss. Bindungswirkung entfaltet nur die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber eine dort beurteilte Vorfrage. Für die Reichweite der Bindung ist grundsätzlich der Spruch der älteren Entscheidung maßgebend; für dessen Auslegung sind aber erforderlichenfalls die Entscheidungsgründe heranzuziehen.

Im vorliegenden Fall erfasst der in der älteren Entscheidung enthaltene, an sich unklare Begriff der "gesamten Beteiligungserträgnisse" nach den Gründen dieser Entscheidung jedenfalls Einnahmen aus der Einräumung von Lizenzen. Demgegenüber ist weder dem Spruch noch der Begründung zu entnehmen, dass darunter auch die hier strittigen Erträge aus dem "Verkauf von Maschinen sowie Hilfs- und Betriebsstoffen" fallen, die "im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung" des Patents erzielt werden. Dieser Punkt scheint im Vorverfahren nicht strittig gewesen zu sein. Die Entscheidung im Vorprozess kann daher keine Bindung für die hier strittigen Ansprüche entfalten.