06.05.2010 Verfahrensrecht

OGH: § 382g EO - zur Frage, inwieweit ein schlichtes (dh ohne Hinzutreten technischer Hilfsmittel oder Überwachungsmechanismen), wenngleich allenfalls ungewöhnlich intensives Beobachten, vorgenommen aus den eigenen Wohnräumlichkeiten des Belangten zum Nachteil eines Nachbarn, Stalking darstellen kann

Das beiläufige und absichtslose Hinaussehen aus den Fenstern des eigenen Hauses, die Einblick in ein Nachbargrundstück gewähren, kann keinen Eingriff in die Privatsphäre darstellen; auch das kurze auf Neugier basierende Hinausblicken muss im Rahmen des "Üblichen" hingenommen werden; dies hat seine Grenze bei der Intensität, durch die sich im konkreten Einzelfall auch ein anderer durchschnittlich empfindender Nachbar dauernd beobachtet und verfolgt fühlen würde; ein ungewöhnliches Verhalten, das das Gefühl der ständigen Überwachung geben soll und auch gibt und das in die Privatsphäre eingreifen würde, auch wenn "nur" Alltägliches, aber eben nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Privatleben von Nachbarn beobachtet würde, muss nicht hingenommen werden, auch wenn dabei keine technischen Hilfsmittel wie Kameras eingesetzt werden


Schlagworte: Exekutionsrecht, einstweilige Verfügung, Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre, Stalking, technische Hilfsmittel, Überwachungskamera
Gesetze:

§ 382g EO

GZ 7 Ob 248/09k, 27.01.2010

OGH: Mit 1. 7. 2006 trat der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2006, BGBl I 56/2006, geschaffene § 382g EO in Kraft. Er regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre, ohne zu definieren, was unter "Privatsphäre" zu verstehen ist. Der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre war aber bereits vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung durch § 16 ABGB und den später durch BGBl I 91/2003 geschaffenen § 1328a ABGB gewährleistet. § 382g EO schafft daher keine neue Anspruchsgrundlage, sondern setzt diese vielmehr voraus. Zweck der "Anti-Stalking-Regelung" des § 382g EO ist die Verbesserung des Schutzes für Opfer, denen rasche Abhilfe gegen Belästigungen durch Stalker geboten werden soll. Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO ist nur die Bescheinigung des Unterlassungsanspruchs. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt.

Es kann also zur Beurteilung, was zur Privatsphäre nach § 382g EO gehört, auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden. Aus § 16 ABGB wird - ebenso wie aus anderen durch die Rechtsordnung geschützten Grundwerten wie Art 8 MRK - das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet. Zur Privatsphäre gehören - soweit hier von Interesse - auch private Lebensumstände, die nur einem eingeschränkten Kreis von Personen bekannt und nicht für eine weite Öffentlichkeit bestimmt sind. Entscheidend für den jeweiligen Schutz ist eine Güter- und Interessenabwägung. Diese hat sich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren.

Als allgemeiner Grundsatz kann gesagt werden, dass durch das Vermitteln des Gefühls des potentiell möglichen ständigen Überwachtseins in die Privatsphäre eingegriffen wird. Das beiläufige und absichtslose Hinaussehen aus den Fenstern des eigenen Hauses, die Einblick in ein Nachbargrundstück gewähren, kann keinen Eingriff in die Privatsphäre darstellen. Auch das kurze, nicht ganz so absichtslose, auf Neugier basierende Hinausblicken, das manch einer pflegt, kann je nach Empfindlichkeit unangenehm sein, muss aber im Rahmen des "Üblichen" hingenommen werden. Dies hat seine Grenze bei der Intensität, durch die sich im konkreten Einzelfall auch ein anderer durchschnittlich empfindender Nachbar dauernd beobachtet und verfolgt fühlen würde.

Das bei gleichzeitiger Gartenbenützung bei angrenzenden Grundflächen nicht zu vermeidende und oft genug unfreiwillige Mithören von Gesprächen, die auf einer Terrasse oder im Garten von Nachbarn geführt werden, ist, selbst wenn bewusst den Gesprächen gelauscht wird, für sich allein, ohne Hinzutreten besonderer Umstände, kein Eingriff in die Privatsphäre.

Die Kläger haben vorgebracht, dass sie die Beklagte beobachte, um sie auszuspionieren und zu belästigen. Sie benehme sich dabei so, dass dies die Kläger auch wahrnehmen müssten. Ausgehend vom Vorbringen der Kläger belässt es die Beklagte also nicht beim beiläufigen "Hinausschauen", sondern überwindet sogar Hindernisse, die dem zufälligen Einsehen in die Liegenschaft der Nachbarn entgegenstehen. So soll sie, um aus einem hoch gelegenen Fenster, aus dem man ohne Hilfsmittel nicht hinausschauen könnte, auf den Klodeckel steigen, und es darauf anlegen, dass sie von den Klägern beim Beobachten gesehen wird. Nach dem Vorbringen der Kläger geht es also nicht um ein nur "zufälliges" und "absichtsloses" aus dem Fenster schauen, sondern um ein ungewöhnliches Verhalten, das nach dem Vorbringen den Klägern das Gefühl der ständigen Überwachung geben soll und auch gibt und das in die Privatsphäre der Kläger eingreifen würde, auch wenn "nur" Alltägliches, aber eben nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Privatleben von Nachbarn beobachtet würde. Sollte die Beklagte durch ihr Gesamtverhalten den Klägern das Gefühl des dauernden Beobachtetseins vermitteln, so stellt dies einen Eingriff in die Privatsphäre dar, auch wenn dabei keine technischen Hilfsmittel wie Kameras eingesetzt werden.