08.07.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis des Empfängers über die Entgeltlichkeit Voraussetzung für die konkursrechtliche Anfechtung unentgeltlicher Verfügungen ist

Zumindest bei nach dem Willen des Verfügenden einseitigen, unentgeltlichen Zuwendungen ist Anfechtungsvoraussetzung, dass dem Empfänger die Freigebigkeit erkennbar war


Schlagworte: Insolvenzrecht, Anfechtung, unentgeltliche Verfügung, Unentgeltlichkeit, Anfechtungsvoraussetzung, Kenntnis, Erkennbarkeit, Fahrlässigkeit
Gesetze:

§§ 28 f KO (IO), § 917 ABGB, § 1297 ABGB

GZ 3 Ob 239/09g, 24.03.2010

OGH: Eine unentgeltliche Verfügung iSd § 29 Z 1 KO ist jede Zuwendung, wofür der Handelnde kein Entgelt erhält, die Leistung also nicht mit einer Gegenleistung konditional verknüpft ist: Die Verfügung bedeutet ein Vermögensopfer für den Leistenden, für das dieser aber eine Gegenleistung als Entgelt nicht zu fordern hat.

Für die Beurteilung der Frage der Entgeltlichkeit (§ 917 ABGB) kann der Parteiwille nicht außer Betracht bleiben, zumal sich nach diesem bestimmt, ob etwas als Gegenwert gemeint ist. Damit fließt aber insofern auch in die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Z 1 KO ein subjektives Moment ein, als nämlich die (angefochtene) Rechtshandlung nach Intention des Handelnden eine unentgeltliche Verfügung sein muss, dessen Freigebigkeit also Zweck seiner Leistung ist.

Grundgedanke der Schenkungsanfechtung ist mithin die mangelnde Schutzwürdigkeit dessen, der einen Vermögenswert unentgeltlich erlangt. Seine Schutzunwürdigkeit setzt zumindest die Erkennbarkeit der Freigebigkeit der Zuwendung voraus. Wenngleich eine Willenseinigung zwischen Gemeinschuldner und Empfänger über die Unentgeltlichkeit nicht Anfechtungsvoraussetzung ist, kommt es doch auf die Erkennbarkeit der Freigebigkeit für den Empfänger an.

Der gegenüber dem entgeltlich Erwerbenden geringere Vertrauensschutz des unentgeltlich Empfangenden ist Ergebnis einer zu Gunsten der Gläubiger des Gemeinschuldners ausschlagenden Interessenabwägung, die der Gesetzgeber überdies bei der Anfechtung wegen Benachteiligungsabsicht (§ 28 Z 2 KO) allerdings vorgenommen hat.

So führte es aber zu einem Wertungswiderspruch, einer Schenkungsanfechtung nach § 29 Z 1 KO stattzugeben, wenngleich der Anfechtungsgegner ohne Verschulden irrig von einer entgeltlichen Zuwendung ausging, während die Absichtsanfechtung nach § 28 Z 2 KO an der schuldlosen Unkenntnis der Benachteiligungsabsicht des Anfechtungsgegners aber scheitert.

Daher ist (zumindest) bei nach dem Willen des Verfügenden einseitigen, unentgeltlichen Zuwendungen Anfechtungsvoraussetzung, dass dem Empfänger die Freigebigkeit erkennbar war.

Nach allgemeinen Grundsätzen (Absichtsanfechtung) gilt auch hier, dass für die Erkennbarkeit der Unentgeltlichkeit die Anwendung gehöriger Sorgfalt gefordert ist. Fahrlässigkeit (fahrlässige Unkenntnis, schuldhafte Unkenntnis, leichte Fahrlässigkeit) hat der Anfechtungsgegner zu vertreten, wobei Maßstab die Figur eines durchschnittlich verständigen Menschen ist (§ 1297 ABGB).