22.07.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Unentgeltlichkeit und zur Erkennbarkeit der Unentgeltlichkeit ausgezahlter Scheingewinne iZm der konkursrechtlichen Anfechtung unentgeltlicher Verfügungen

Die Auszahlung von Scheingewinnen im Rahmen eines nach dem Schneeballsystem funktionierenden Pyramidenspieles ist eine anfechtbare unentgeltliche Verfügung, wenn für den Anfechtungsgegner das Betrugssystem und mithin die Unentgeltlichkeit dieser Verfügung - hier wegen irreal hoher Gewinnversprechen - erkennbar war


Schlagworte: Insolvenzrecht, Anfechtung, unentgeltliche Verfügung, Kenntnis, Erkennbarkeit, Unentgeltlichkeit, Scheingewinn, Pyramidenspiel, Schneeballsystem
Gesetze:

§ 29 KO (IO), § 917 ABGB, § 1297 ABGB

GZ 3 Ob 240/09d, 28.04.2010

OGH: Zunächst ist für die Anfechtung unentgeltlicher Verfügungen nach § 29 Z 2 KO (zumindest) bei nach dem Willen des Verfügenden einseitigen, unentgeltlichen Zuwendungen Voraussetzung, dass dem Empfänger die Freigebigkeit erkennbar war, wobei nach allgemeinen Grundsätzen (Absichtsanfechtung) für die Erkennbarkeit der Unentgeltlichkeit die Anwendung gehöriger Sorgfalt gefordert ist. Fahrlässigkeit hat der Anfechtungsgegner zu vertreten, Maßstab ist die Figur eines durchschnittlich verständigen Menschen (§ 1297 ABGB).

Aus der Sicht des sog Spenderhorizontes liegt nach Intention des Verfügenden (und objektiv) eine einseitige unentgeltliche Zuwendung auch dann vor, wenn im Rahmen eines nach dem Schneeballsystem funktionierenden Pyramidenspieles Scheingewinne ausgezahlt werden, nachdem den Teilnehmern (betrügerisch) die Beteiligung an gewinnbringenden Geschäften bzw einer solchen Gesellschaft - mit diesem Täuschungsmittel unentgeltlicher Zuwendungen - vorgespiegelt worden ist.

An der Unentgeltlichkeit vermag das Motiv der (späteren) Gemeinschuldnerin (hier: GmbH; es kommt auf den gesetzlichen Vertreter an), das betrügerische System in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten, nichts zu ändern: Die Verfügende, die dem Anleger eine Auszahlung leistet, wobei mit dieser Auszahlung keine Gegenleistung verknüpft ist, handelt in der Absicht, dem Anleger unentgeltlich Geld zukommen zu lassen. Die Auszahlung erfolgt in der Erwartung (Hoffnung), dass der Anleger weitere (höhere) Einzahlungen tätigt oder Werbung für das vermeintlich gute Anlageprodukt betreibt.

Die Einzahlung (Einlage) des Anfechtungsgegners ist keine Gegenleistung für die spätere Auszahlung von Scheingewinnen: Mit der Einlage sollte nur die Gesellschafterstellung mit dem vertraglichen Anspruch auf Gewinnbeteiligung verschafft werden, nicht aber ein Anspruch auf Gewinnauszahlungen, ohne dass ein Gewinn erwirtschaftet wurde.

Aus der Sicht des Empfängerhorizontes liegt mithin Erkennbarkeit der Unentgeltlichkeit dieser Gewinnauszahlungen vor, wenn - wie hier - die Werbung für die Beteiligung (als stiller Gesellschafter) irreal hohe Gewinne verspricht, die einen durchschnittlich verständigen Adressaten schon auf den ersten Blick misstrauisch machen mussten. Unterlässt es ein Anleger, irreal hohe Gewinnversprechen zu hinterfragen, so handelt er fahrlässig und verletzt seine auch nach Anfechtungsrecht bestehende Sorgfaltspflicht in Ansehung des Vorliegens des Verdachtes eines unseriösen Anlagegeschäftes.