26.08.2010 Verfahrensrecht

OGH: § 598 ZPO idF SchiedsRÄG 2006 - keine mündliche Verhandlung trotz Parteienantrag: Aufhebungsgrund iSd § 611 Abs 2 Z 2 ZPO?

Die Nichtbeachtung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Schiedsgericht stellt - entgegen der alten Rechtslage - einen Aufhebungsgrund iSd § 611 Abs 2 Z 2 ZPO dar


Schlagworte: Schiedsverfahren, keine mündliche Verhandlung trotz Parteienantrag, rechtliches Gehör, Aufhebung
Gesetze:

§ 598 ZPO, § 611 Abs 2 Z 2 ZPO, § 594 Abs 2 ZPO

GZ 7 Ob 111/10i, 30.06.2010

Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, da der Schiedsrichter ihrem Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nach § 598 ZPO nicht entsprochen habe, sei der Aufhebungsgrund des § 611 Abs 2 Z 2 ZPO verwirklicht.

OGH: Nach der alten Rechtslage konnte das Schiedsgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung nach § 587 Abs 1 Satz 2 ZPO aF trotz eines entsprechenden Parteienbegehrens die Durchführung eines mündlichen Verfahrens ablehnen. Nunmehr sieht § 598 ZPO für den Fall, dass - wie hier - die Parteien eine mündliche Verhandlung nicht ausgeschlossen haben, zwingend vor ("hat"), dass eine solche über Parteienantrag "in einem geeigneten Abschnitt des Verfahrens" durchzuführen ist. Diese Formulierung folgt Art 24 Abs 1 des UNCITRAL-Modellgesetzes über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (ModG); Entsprechendes sieht auch § 1047 Abs 1 dZPO vor. Dadurch wird der in § 594 Abs 2 Satz 2 ZPO festgeschriebene Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör konkretisiert. Schon das Berufungsgericht hat richtig darauf hingewiesen, dass als "geeigneter Abschnitt des Verfahrens" nur ein Zeitraum vor Fällung eines (auch nur eine Teilerledigung darstellenden) Schiedsspruchs in Frage kommt. Im vorliegenden Fall steht daher fest, dass gegen die zwingende Bestimmung des § 598 Satz 2 ZPO verstoßen wurde.

Es stellt sich die Frage, ob damit einer der in § 611 Abs 2 ZPO (ebenso wie in Art 34 ModG und § 1059 dZPO) nach herrschender Meinung taxativ aufgezählten Aufhebungsgründe - in Betracht kommt allein § 611 Abs 2 Z 2 ZPO - verwirklicht wurde. Die Gesetzesmaterialien nehmen dazu nicht Stellung. Das Berufungsgericht hat, Hausmaninger folgend, die Meinung vertreten, ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gehörgewährung und damit ein Aufhebungsgrund gem § 611 Abs 2 Z 2 ZPO liege nur dann vor, wenn den Parteien keine Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben wurde. Da die Klägerin im vorliegenden Fall diese Gelegenheit gehabt habe, ziehe der Verstoß des Schiedsgerichts gegen § 598 Satz 2 ZPO keine Folgen nach sich.

Dieser Ansicht kann sich der erkennende Senat nicht anschließen: Wie bereits ausgeführt, enthält § 598 ZPO (in Übereinstimmung mit Art 24 Abs 1 ModG und § 1047 Abs 1 dZPO) Grundsätze über die mündliche Verhandlung und das schriftliche Verfahren und konkretisiert daher den in § 594 Abs 2 Satz 2 ZPO festgeschriebenen Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Wäre nach dem Willen des Gesetzgebers ungeachtet der in § 598 ZPO für den Fall eines entsprechenden Parteienantrags getroffenen zwingenden Anordnung einer Verhandlungspflicht dem Anspruch der betreffenden Partei auf rechtliches Gehör auch schon durch die bloße Möglichkeit einer schriftlichen Äußerung Genüge getan, entspräche dies ganz der alten Rechtslage. Die ausdrückliche Bestimmung einer Verhandlungspflicht in § 598 Satz 2 ZPO entbehrte damit jeder Konsequenz. Nach stRsp darf bei einer Gesetzesauslegung dem Gesetzgeber allerdings ein zweckloser und funktionsloser oder in der Praxis kaum vollziehbarer Regelungswille nicht unterstellt werden. Es ist dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen, beabsichtigt zu haben, dass die Normierung einer zwingenden Verhandlungspflicht durch das SchiedsRÄG 2006 nicht weiter beachtlich sein solle. Soll der Novellierung des Schiedsrechts in diesem Punkt irgendeine praktische Bedeutung zukommen, muss die Nichtbeachtung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Schiedsgericht daher entgegen der alten Rechtslage regelmäßig einen Aufhebungsgrund iSd § 611 Abs 2 Z 2 ZPO darstellen. Dies entspricht auch der stRsp zu § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, dass überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, den Nichtigkeitsgrund nach dieser Gesetzesstelle bildet.