02.09.2010 Verfahrensrecht

OGH: Verschiebung der Beweislast - Zugangsvermutung bei einem Einschreibbrief?

Allein die Tatsache der eingeschriebenen Aufgabe des Schreibens bewirkt noch keine Beweislastverschiebung zu Lasten des Beklagten


Schlagworte: Verschiebung der Beweislast, Zugangsvermutung bei einem Einschreibbrief
Gesetze:

§§ 266 ff ZPO, § 2 Z 9 PostG

GZ 3 Ob 69/10h, 30.06.2010

OGH: Nach allgemeinen Grundsätzen hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen. Eine Verschiebung der Beweislast kommt nur dann in Betracht, wenn ein allgemein, also für jedermann auf gleiche Weise bestehender Beweisnotstand vorliegt und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen. Auch wenn man davon ausgeht, dass nach allgemein gültigen Erfahrungssätzen eingeschrieben aufgegebene Briefsendungen typischerweise auch zugestellt werden, kann - jedenfalls solange eine Möglichkeit besteht, die Zustellung der Briefsendung durch das "TuT-System" oder mittels Rückscheinzustellung zu beweisen - von einem Beweisnotstand iSd Rsp zum prima facie-Beweis nicht gesprochen werden.

Nach dem derzeit noch in Geltung stehenden § 2 Z 9 PostG können "Einschreiben" (entgeltpflichtige Sonderbehandlung einer Postsendung, die durch den Dienstanbieter pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert wird und bei der dem Absender, gegebenenfalls auf sein Verlangen, eine Bestätigung über die Entgegennahme der Sendung und ihre Aushändigung an den Empfänger erteilt wird) iVm den von der Österreichischen Post AG erlassenen "AGB Briefdienst Inland" durch Inanspruchnahme der weiteren entgeltpflichtigen Zusatzleistung "TuT für Einschreiben" vom Absender anhand der Aufgabenummer hinsichtlich ihres Sendestatus verfolgt werden. Überdies kann der Absender die weitere entgeltpflichtige Zusatzleistung "Eigenhändig" oder "Rückschein" wählen. Dadurch wird der Absender in die Lage versetzt, eine Bestätigung über die Abgabe der Sendung vorzuweisen. Es spricht nichts dagegen, einen Absender, der sich einer Übersendungsart bedient, die es ihm ermöglicht, sich per Nachforschungsauftrag ein objektives Beweismittel für den Zugang seiner Erklärung zu verschaffen, nicht auch zu verpflichten, diese Möglichkeit zu nutzen.

Für den Anlassfall muss daher davon ausgegangen werden, dass allein die Tatsache der eingeschriebenen Aufgabe des Kündigungsschreibens noch keine Beweislastverschiebung zu Lasten des Beklagten bewirkt. Die Klägerin hätte vielmehr den Zugang an den Masseverwalter der Gemeinschuldnerin beweisen müssen.