30.09.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob, und unter welchen Voraussetzungen die Benachteiligungsabsicht des Schuldners iSd § 2 Abs 1 AnfO den Organen einer von ihm gegründeten (Familien-)Stiftung zugerechnet werden kann

Wenn der Stifterwille bei der Errichtung und Fortsetzung der Stiftung das Essentiale der Rechtsform Stiftung ist und im Fall fehlenden Vorbehalts von Gestaltungsrechten (etwa des Statutenabänderungsrechts) "erstarrt" und die Organe der Stiftung verpflichtet sind, entsprechend dem Stifterwillen für die Erfüllung des Stiftungszwecks zu sorgen, ist ihnen unter Umständen das Wissen des Stifters über seine Benachteilungsabsicht zuzurechnen; jedenfalls muss das für eine Stiftung gelten, die noch unter dem wirtschaftlichen Einfluss des Stifters steht; nur bei einem vom Stifter völlig getrennten Vermögen könnte es für eine erfolgreiche Anfechtung der Schenkung wegen Benachteiligungsabsicht des Stifters auch auf die Kenntnis der Organe der Stiftung ankommen


Schlagworte: Anfechtungsrecht, Benachteiligungsabsicht, vom Schuldner gegründete (Familien-)Stiftung, Organe, Zurechnung, wirtschaftlicher Einfluss, ahnungsloses Werkzeug
Gesetze:

§ 2 AnfO

GZ 3 Ob 1/10h, 26.05.2010

OGH: Was die Zurechnung der (zwangsläufigen) Kenntnis des schenkenden Stifters von der Benachteiligungsabsicht iSd § 2 Z 1 AnfO an die beklagte liechtensteinische Stiftung angeht, stützt sich das Berufungsgericht auf oberstgerichtliche Judikatur. Die Anwendung des § 2 Z 1 AnfO wird damit begründet, dass das Wissen der Begünstigten der Stiftung von der Benachteiligungsabsicht des Stifters der Kenntnis der Vertreter der Stiftung, die formelle Rechtsgeschäftspartnerin war, gleichgehalten wurde. Das entspricht der vom OGH in Fällen von Vätern, die einen nichtsahnenden Kollisionskurator für beschenkte Kinder bestellen ließen, vorgenommenen Wertung. Es kann keinen wesentlichen Unterschied machen, ob der Schenker, anstatt den Kindern über Bestellung eines Kollisionskurators (oder auch vertreten durch den anderen Elternteil) Liegenschaftsanteile direkt zuzuwenden, eine (Familien-)Stiftung allein für den Zweck gründet, die Nutzung dieser Anteile den Kindern zukommen zu lassen, und dann den Schenkungsvertrag mit der von ihren Organen vertretenen Stiftung abschließt. Diese kann bei einem solchen Sachverhalt wegen der Stellung der Kinder als Begünstigte der Familienstiftung zufolge der im Anfechtungsrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht wie ein sonstiger, vom Schuldner unabhängiger Anfechtungsgegner behandelt werden. Die hinter der rechtlichen Konstruktion stehende Interessenkollision des Vaters als Schenker und gesetzlicher Vertreter der Geschenknehmer sowie das letzteren auch sonst im Allgemeinen zuzurechnende Wissen des Vaters als gesetzlichen Vertreter sind in beiden Fällen gleich.

Die mit Benachteiligungsabsicht (§ 2 Z 1 AnfO) des Schuldners erfolgte Vermögensverschiebung im Wege der Errichtung einer Stiftung (hier einer reinen Familienstiftung nach liechtensteinischem Recht) war rechtsmissbräuchlich. Die tatbestandsmäßige erforderliche Kenntnis des Anfechtungsgegners (der Organe der Stiftung) liegt schon im Willen und Wissen des Stifters:

Die Benachteiligungsabsicht des Schuldners wurde festgestellt. Sein eigenes Wissen darüber ist zwangsläufiger Teil des Stifterwillens, der sein Vermögen dem Zugriff der Gläubiger entziehen will. Wenn nun der Stifterwille bei der Errichtung und Fortsetzung der Stiftung das Essentiale der Rechtsform Stiftung ist und im Fall fehlenden Vorbehalts von Gestaltungsrechten (etwa des Statutenabänderungsrechts) "erstarrt" und die Organe der Stiftung verpflichtet sind, entsprechend dem Stifterwillen für die Erfüllung des Stiftungszwecks zu sorgen, ist ihnen unter Umständen sogar in diesem Fall das Wissen des Stifters über seine Benachteilungsabsicht zuzurechnen. Jedenfalls muss das für eine Stiftung gelten, die noch unter dem wirtschaftlichen Einfluss des Stifters steht, wovon hier auszugehen ist, auch wenn das Stiftungsstatut nicht vorgelegt und festgestellt wurde. Dass der Stifter noch Einflussmöglichkeiten auf die Stiftung hatte, ergibt sich hier schon aus dem Umstand, dass der Stiftung mit dem Notariatsakt die Liegenschaftsanteile in Wien ohne Nebenabrede und Bedingungen geschenkt wurden und erst danach die Stiftung die Sachhaftung durch Einräumung bücherlicher Pfandrechte übernahm, wozu die Organe der Stiftung nur verpflichtet (und gegenüber den Begünstigten berechtigt) waren, wenn sich der Stifter Gestaltungsrechte (Änderungsrecht; Weisungsrecht) vorbehielt. Bei der Schenkung handelt es sich entweder wegen der zeitlichen Nähe zur Errichtung der Stiftung mit dem Mindestkapital (30.000 CH-Franken) um das für die Erreichung des Stiftungszwecks erforderliche Gründungskapital oder aber um eine Nachstiftung. Die nachträgliche bücherliche Belastung ohne rechtliche Verpflichtung der Stiftung wäre ein dem Stiftungszweck zuwiderlaufendes, den Zweck gefährdendes Fehlverhalten der Stiftungsräte. Dies kann mangels jeglichen Parteivorbringens zu diesem Thema nicht unterstellt werden. Daraus folgt, dass die Familienstiftung hier in Wahrheit kein eigentümerloses, vom Stifter völlig getrenntes Vermögen darstellt (für einen [vorbehaltenen] Stiftereinfluss spricht auch das 2005 eingeräumte, noch aktuelle Höchstbetragspfandrecht und der Umstand, dass die Ehefrau des Stifters nach der Scheidung nicht mehr Begünstigte ist). Nur bei einem solchen getrennten Vermögen könnte es für eine erfolgreiche Anfechtung der Schenkung wegen Benachteiligungsabsicht des Stifters auch auf die Kenntnis der Organe der Stiftung ankommen.

Die Vorentscheidungen 5 Ob 254/00i und 2 Ob 53/07v, in denen die Benachteiligungsabsicht des Schuldners dessen Kindern (Geschenknehmern) zugerechnet wurde, weil es nicht auf die Kenntnis des ahnungslosen, als Werkzeug missbrauchten Kollisionskurators, sondern auf die Kenntnis des Vaters als gesetzlicher Vertreter ankommt, sind wegen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Anfechtungsrecht insofern vergleichbar, als es auch hier um die Einschaltung eines ahnungslosen Werkzeugs (der Organe der Stiftung) geht. Auf deren Wissen über die Benachteiligungsabsicht des Stifters kommt es aber nicht an. Die gegenteilige Auffassung machte das Anfechtungsrecht völlig "zahnlos", könnten doch Schuldner ihr Vermögen jederzeit dem Zugriff ihrer Gläubiger über das "Vehikel" einer liechtensteinischen Stiftung anfechtungsfest entziehen.