28.10.2010 Verfahrensrecht

OGH: Besondere Zuständigkeit nach Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO iZm Versendungskauf

Auch beim Versendungskauf ist regelmäßig der Ort der Entgegennahme der Ware durch den Empfänger jener Ort, an dem die Sache "nach dem Vertrag geliefert worden" ist


Schlagworte: Internationales Zivilverfahrensrecht, besondere Zuständigkeit, Wahlgerichtsstand, Versendungskauf, Warenlieferung
Gesetze:

Art 5 EuGVVO

GZ 1 Ob 137/10v, 14.09.2010

OGH: Im Einklang mit der hRsp ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die an den Ort der Warenlieferung anknüpfende Zuständigkeitsbestimmung des Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO auch für Warenlieferungen gilt, auf die das UN-Kaufrecht anzuwenden ist. Das Rekursgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass gem Art 5 Nr 1 lit c EuGVVO die Regelung nach lit b - also für Kauf- und Dienstleistungsverträge - vorgeht, wogegen lit a nur für die übrigen Fälle gilt. Maßgeblich ist somit nicht der Erfüllungsort für die Kaufpreiszahlung, sondern jener für die Warenlieferung.

Unstrittig ist, dass sich die Klägerin verpflichtet hat, die Waren "frei Haus" zu liefern und dass diese auch am Sitz der Beklagten angekommen sind und von dieser übernommen wurden. Damit lag der tatsächliche Erfüllungsort (Ablieferungsort), auf den die Vorinstanzen für die Zuständigkeitsfrage zu Recht abgestellt haben, in den Niederlanden. Dass die Waren etwa durch eine von der Beklagten beauftragte Hilfsperson in Österreich abgeholt worden wären, behauptet die Klägerin selbst nicht.

Nach zutreffender Auffassung besteht auch kein Anlass, danach zu differenzieren, ob die Waren vom Verkäufer selbst bzw durch eigene Mitarbeiter oder aber im Rahmen eines sog Versendungskaufs - etwa durch einen Frachtführer - zum Käufer gebracht wurden. Dies entspricht auch überwiegender Ansicht in LuRsp. Dem europäischen Verordnungsgeber kann auch nicht unterstellt werden, sich der Tatsache, dass im internationalen Warenhandel Waren in aller Regel im Wege des Versendungskaufs übermittelt werden, nicht bewusst gewesen zu sein. Auch beim Versendungskauf ist regelmäßig der Ort der Entgegennahme der Ware durch den Empfänger jener Ort, an dem die Sache "nach dem Vertrag geliefert worden" ist.

Schließlich hat der EuGH jüngst (C-381/08) die Auslegungsfrage nach dem Erfüllungsort beim Versendungskauf wie folgt beantwortet:"Art 5 Nr 1 Buchst b erster Gedankenstrich der Verordnung Nr 44/2001 ist dahin auszulegen, dass bei Versendungskäufen der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Vertrags zu bestimmen ist. Lässt sich der Lieferort auf dieser Grundlage ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht bestimmen, ist dieser Ort derjenige der körperlichen Übergabe der Waren, durch die der Käufer am endgültigen Bestimmungsort des Verkaufsvorgangs die tatsächliche Verfügungsgewalt über diese Ware erlangt hat oder hätte erlangen müssen."

Da im vorliegenden Fall nach der unbedenklichen Rechtsansicht der Vorinstanzen ein vom tatsächlichen Ablieferungsort abweichender "echter" Erfüllungsort für die Warenlieferung nicht vereinbart wurde, ist der Sitz der Beklagten als jener Ort zuständigkeitsbegründend, an dem die Käuferin am endgültigen Bestimmungsort die tatsächliche Verfügungsgewalt über die gelieferten Waren erlangt hat.