04.11.2010 Verfahrensrecht

OGH: Die Ansicht, ein der deutschen Sprache unkundiger Zeuge sei nicht als iSd § 345 ZPO erschienen anzusehen, wenn kein geeigneter Dolmetscher anwesend ist, ist zumindest gut vertretbar, jedenfalls nicht unhaltbar

§ 345 ZPO ist im Grunde nicht notwendig, da ein eigener, nicht überflüssiger Beweisantrag des Gegners des Verzichtenden zu bewilligen wäre; daraus folgt, dass bei Stellung eines solchen eigenen Beweisantrags ein allfälliger Verstoß gegen § 345 zweiter Satz ZPO keinen wesentlichen Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO begründet


Schlagworte: Vernehmung, Zeuge, Verzicht durch Beweisführer, Beweisgegner, Beharrungsrecht, zur Vernehmung erschienen, fehlender Dolmetscher, Beweisantrag
Gesetze:

§ 345 ZPO

GZ 3 Ob 85/10m, 04.08.2010

OGH: Verzichtet ein Beweisführer auf einen beantragten Zeugen, dann kann der Gegner seine Einvernahme oder deren Fortsetzung verlangen, wenn der Zeuge bereits zur Vernehmung erschienen ist bzw die Vernehmung schon begonnen hat (§ 345 zweiter Satz ZPO). Nach den Materialien zur ZPO soll dieses Recht des Beweisgegners diesem einen eigenen Beweisantrag und dem Gericht einen (mittlerweile durch das Prozessprogramm ersetzten) Beweisbeschluss ersparen. Da sich das Prozessprogramm jederzeit leicht ergänzen lässt, vermag diese Erwägung diese Regelung wohl nicht zu tragen. Daher wird man nur die Vermeidung einer Verfahrensverzögerung (oder das neuerliche Erscheinen des Zeugen vor Gericht) als Folge eines eigenen Beweisantrags des Gegners als Zweck dieser Norm ansehen können. Nur so scheint die Einschränkung des Beharrungsrechts auf schon bei Gericht anwesende und daher regelmäßig verzögerungsfrei zu vernehmende Zeugen erklärbar. Dann ist aber die Ansicht, ein der deutschen Sprache unkundiger Zeuge sei nicht als iSd § 345 ZPO bei Gericht erschienen anzusehen, wenn kein geeigneter Dolmetscher anwesend ist, zumindest gut vertretbar, jedenfalls nicht unhaltbar. Schließlich würde die in der Revision vertretene Rechtsansicht gerade dazu führen, dass die durch den Verzicht ermöglichte Verfahrensverkürzung zunichte gemacht würde. Es hätte eine weitere Verhandlung anberaumt, ein Dolmetscher geladen werden und die Zeugin nochmals zur Gericht kommen müssen. Demnach kann die klagende Partei in diesem Punkt den verneinten Verfahrensmangel erster Instanz nicht mehr mit Erfolg in ihrer Revision rügen.

Dazu kommt, dass die klagende Partei nicht nur Gelegenheit hatte, einen eigenen Beweisantrag zu stellen, sondern ihn auch tatsächlich stellte. Wie schon Neumann überzeugend darlegt, ist § 345 ZPO im Grunde nicht notwendig, weil ein solcher eigener Beweisantrag des Gegners des Verzichtenden, sofern er nicht überflüssig ist, zu bewilligen wäre. Daraus ist aber zu folgern, dass für den Fall der Stellung eines eigenen Beweisantrags ein allfälliger Verstoß des Erstgerichts gegen § 345 zweiter Satz ZPO keinen wesentlichen Verfahrensmangel (iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO) zu begründen vermag.