30.12.2010 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob zur Geltendmachung formeller Mängel eines gerichtlichen Vergleichs eine selbständige Feststellungsklage zur Verfügung steht

Ob ein Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet wurde (und ob der abgeschlossene gerichtliche Vergleich einen Exekutionstitel iSd § 1 Z 5 EO bildet), ist ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen; die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs kann ausschließlich mit einem Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden


Schlagworte: Vergleich, Exekutionstitel, prozessuale / materielle Unwirksamkeit
Gesetze:

§ 204 ZPO, § 1 Z 5 EO, § 1380 ABGB

GZ 3 Ob 171/10h, 13.10.2010

Die beklagte Bank führt aufgrund eines Vergleichs vom 23. Juni 1995 Exekution durch Zwangsversteigerung. Das Berufungsgericht wies die auf die §§ 35 f EO gestützten und mit der prozessualen und materiellen Unwirksamkeit des Vergleichs begründeten Klagebegehren (die Exekution sei unzulässig; der betriebene Anspruch sei erloschen; hilfsweise, die beklagte Partei sei schuldig, in die Löschung der Pfandrechte einzuwilligen) ab.

OGH: Es entspricht stRsp, dass die prozessuale Wirksamkeit des Vergleichs und die Frage, ob der abgeschlossene gerichtliche Vergleich einen Exekutionstitel iSd § 1 Z 5 EO bildet, ausschließlich nach Prozessrecht zu beurteilen ist; die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs kann durch die Parteien mittels eines Fortsetzungsantrags geltend gemacht werden. Die Frage der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge Missachtung der Protokollierungsvorschriften ist demnach durch Antrag auf Fortsetzung im ursprünglichen Verfahren zu klären. Dem Kläger steht auch der Einstellungsantrag nach § 39 Abs 1 Z 10 EO offen. In der E 6 Ob 49/00z wurde explizit ausgesprochen, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs könne ausschließlich mit einem Fortsetzungsantrag geltend gemacht werden.

Ob der Vergleich aufgrund Missachtung der Vorschriften über die Protokollierung formell nicht wirksam zu Stande gekommen ist, unterfällt jedenfalls keinem der Klagstatbestände nach § 36 Abs 1 Z 1 EO, weil keine Streitigkeit über den Ablauf der Leistungsfrist oder den Eintritt einer Bedingung (oder die Rechtsnachfolge) besteht. Für die nach Ansicht des Revisionswerbers doch gegebene Möglichkeit, die prozessuale Unwirksamkeit des Vergleichs mit Impugnationsklage geltend zu machen, führt er ins Treffen, auch die Exekutionskraft eines Notariatsakts (wegen Nichteinhaltung der §§ 52 ff der Notariatsordnung) sei mit Vollstreckungsgegenklage bekämpfbar (Art XVII EGEO). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die mangelnde prozessbeendende Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs mit Impugnationsklage geltend gemacht werden könnte, ist doch dem Notariatsakt kein Verfahren vorausgegangen, das nach den für den Gerichtsvergleich maßgeblichen §§ 204 ff ZPO beendet wurde und fortgesetzt werden könnte.

Dem Argument, die beklagte Partei habe die Zulässigkeit einer "Vollstreckungsbekämpfungsklage" nicht bestritten, ist zu erwidern, dass es sich dabei um eine dem Prozessrecht zuzuordnende Frage handelt, die der Parteiendisposition nicht zugänglich ist. Es geht weder um die Anerkennung eines materiell-rechtlichen Anspruchs, noch um das Zugeständnis entscheidungsrelevanter Tatsachen iSd §§ 266, 267 ZPO.

Zum Revisionsvorbringen, der Vergleich sei auch materiell unwirksam:Ein prozessual unwirksamer Vergleich ist grundsätzlich als materiell-rechtliches Geschäft weiter wirksam, es sei denn, aus der Parteienvereinbarung oder den eindeutigen Parteiinteressen wäre erkennbar, dass mit dem Wegfall der prozessualen Seite des Vergleichs auch die materiell-rechtliche Übereinkunft hinfällig sein soll. Davon kann aber im Fall der prozessualen Unwirksamkeit des Vergleichs infolge eines Verstoßes gegen die in § 212 Abs 6 ZPO festgelegten Formvorschriften nicht ausgegangen werden. Dem Kläger stand daher die Möglichkeit offen, etwaige materielle Mängel des Vergleichs iSe anfänglichen Unwirksamkeit mit selbständiger Klage geltend zu machen. In Frage kommen die Klage auf Unwirksamerklärung des Vergleichs, ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch oder die Neueinklagung der ursprünglichen Ansprüche. Die Oppositionsklage gem § 35 EO ist für die Bekämpfung von Anfang an materiell fehlerhafter Vergleiche hingegen nicht der richtige Behelf, weil diese Klage rechtserhebliche Tatsachen voraussetzt, die nach Entstehung des Vergleichs eingetreten sind.