20.01.2011 Verfahrensrecht

OGH: Schutz vor Gewalt in Wohnungen - zur Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO (iZm "Psychoterror")

Wird "Psychoterror" ausgeübt, ist die Wirkung gerade auf die Gesundheit des Antragstellers von Bedeutung; nicht maßgeblich ist hingegen, was ein Durchschnittsmensch als Psychoterror empfindet


Schlagworte: Exekutionsrecht, Schutz vor Gewalt in Wohnungen, Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens
Gesetze:

§ 382b EO

GZ 1 Ob 156/10p, 15.12.2010

OGH: Die materiellrechtlichen Grundlagen von Regelungsverfügungen gegen Gewalt in der Familie bilden unter Ehegatten die Pflicht zur anständigen Begegnung (§ 90 Abs 1 ABGB) und die absolut wirkenden Rechte des Einzelnen auf Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und Integrität (§ 16 ABGB). Bei Regelungsverfügungen ist Beurteilungsmaßstab die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens. Nach stRsp sind für die Beurteilung der - verschuldensunabhängigen - Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei - ernst gemeinten und als solche verstandenen - Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung maßgebend. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, desto eher wird nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Wird "Psychoterror" ausgeübt, ist die Wirkung gerade auf die Gesundheit des Antragstellers von Bedeutung; nicht maßgeblich ist hingegen, was ein Durchschnittsmensch als Psychoterror empfindet. Freilich kann nicht jedes Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen.

Ob im Hinblick auf den als bescheinigt angenommenen Sachverhalt zum Verhalten einer Person ein Auftrag zum Verlassen der Wohnung gem § 382b EO gerechtfertigt ist oder nicht, ist nach stRsp keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO, weil diese Beurteilung immer nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfolgen kann. Das gilt auch für die Frage, wann ein die Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten vorliegt, welches das weitere Zusammenleben unzumutbar macht.

Bei der Beurteilung, ob ein dringendes Wohnbedürfnis desjenigen vorliegt, der die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO beantragt, ist auch auf das Wohl und das Wohnbedürfnis eines Kindes Bedacht zu nehmen, das im gemeinsamen Haushalt lebt. Daher geht es eindeutig um die Frage, ob dem Gefährdeten samt den Kindern ein anderwärtiges Wohnen zuzumuten ist. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller keine Kinder, die bei ihm wohnen. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Verfügung könne das Wohl des (eine Internatsschule besuchenden) Sohnes der Antragsgegnerin nicht entgegenstehen, weicht von der wiedergegebenen Rsp nicht ab.

Der OGH ist im Verfahren über einstweilige Verfügungen nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz und hat daher bei der rechtlichen Beurteilung von dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt auszugehen. Ob dem vom Antragsteller beigebrachten medizinischen Gutachten zu folgen ist oder dem von der Antragsgegnerin zur Gegenbescheinigung vorgelegten Gutachten, ist eine Frage der vom OGH nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ist kein parates Bescheinigungsmittel und mit dem Zweck des Provisorialverfahrens nicht vereinbar.

Nach der Rsp trifft den Antragsgegner die Behauptungs- und Bescheinigungspflicht für alle Tatsachen, aus denen das Nichtbestehen des bescheinigten Anspruchs abgeleitet wird.