27.01.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob einem Privatgutachter ein rechtliches Interventionsinteresse am Obsiegen seines Auftraggebers zukommt

Ein allfälliges wirtschaftliches Interesse oder das Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse reicht zur Begründung eines rechtlichen Interesses nicht aus


Schlagworte: Einfache Nebenintervention
Gesetze:

§ 17 ZPO

GZ 7 Ob 191/10d, 24.11.2010

Die am 1. 6. 2005 gegen den Unfallversicherer des Klägers eingebrachte Deckungsklage ist auf Bezahlung einer Versicherungsleistung von 270.000 EUR gerichtet. Der Kläger habe bei einem am 25. 8. 2003 erlittenen Sturz von einer ca 3,8 m hohen Rampe Verletzungen an der rechten Schulter und am rechten Knie mit Dauerfolgen erlitten.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung und bestreitet (ua), dass ein unfallbedingter Dauerschaden aus einer nach Versicherungsbeginn entstandenen Verletzung des Klägers vorliege.

Nachdem die Gerichtsgutachten ergaben, dass eine durch die traumatische Armplexusläsion verursachte Dauerschädigung ab September 2007 nicht mehr feststellbar sei, verkündete der Kläger dem Antragsteller, Facharzt Univ.-Prof. Dr. W***** L*****, mit Schriftsatz vom 20. 10. 2009 den Streit und forderte diesen auf, dem Verfahren als Nebenintervenient beizutreten. Der Kläger sei von ihm außergerichtlich beraten worden, wobei der Arzt stets gemeint habe, es liege eine zumindest 20%ige Invalidität bezogen auf die neurologischen Dauerfolgen vor. Sollte das Gericht keinen neurologischen Dauerschaden annehmen und daher die Klage abweisen, sei der Antragsteller dem Kläger ersatzpflichtig.

Am 9. 11. 2009 erklärte der Antragsteller, dem Rechtsstreit als Nebenintervenient auf Seiten des Klägers beizutreten.

OGH: Vorweg ist zur abgesonderten Anfechtbarkeit der Entscheidung des Erstgerichts festzuhalten, dass § 18 Abs 4 aF ZPO (wonach die Entscheidung, welche die Nebenintervention für zulässig erklärte, nicht durch ein abgesondertes Rechtsmittel angefochten werden konnte) mit Art III Z 2 ZVN 2009 aufgehoben wurde, weil es der Gesetzgeber für zweckmäßig erachtete, dass auch die Frage der Zulassung eines Nebenintervenienten sofort geklärt werden kann.

Nach § 17 Abs 1 ZPO kann, wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Person obsiege, dieser Partei im Rechtsstreit beitreten (Nebenintervention). Das Interesse, das der Nebenintervenient am Sieg einer der Prozessparteien hat, hat er nach § 18 Abs 1 Satz 2 ZPO bestimmt anzugeben. Die Schlüssigkeit des behaupteten Interventionsinteresses gehört zu den formellen Beitrittsvoraussetzungen. Eine insofern unschlüssige Nebenintervention führt zu deren Zurückweisung im Rahmen der gerichtlichen Vorprüfung.

Nach stRsp reicht ein bloß wirtschaftliches Interesse für die Nebenintervention nicht aus. Bei der Beschlussfassung über die Nebenintervention ist das Gericht an die vom Nebenintervenienten in der Beitrittserklärung vorgebrachten und im Fall der Bestreitung bescheinigten Tatsachen gebunden. Es kann die Zulässigkeit nicht aus anderen Tatsachen ableiten. Weitere - über die wiedergegebene Erklärung des Antragstellers hinausgehende - Tatsachen und Rechtsüberlegungen sind der Entscheidung über die angestrebte Nebenintervention nicht zugrunde zu legen.

Im vorliegenden Fall stützt sich der Antragsteller nur auf das Vorbringen in der Streitverkündung. Das vorgetragene Tatsachensubstrat beschränkt sich allein darauf, dass er bei seiner Gutachtertätigkeit für den Kläger immer von einer höheren Invalidität ausgegangen sei, sodass im Fall der Feststellung einer niedrigeren neurologischen Gebrauchswertminderung in diesem Verfahren befürchtet werden müsse, dass sich der Kläger "regressiert".

Daraus ist ein rechtliches Interesse iSd § 17 Abs 1 ZPO nicht abzuleiten.

Wie die Revisionsrekursbeantwortung zutreffend aufzeigt, fehlen zum einen ausreichende Behauptungen, aus welchen Umständen sich ein möglicher "Regress", also ein Rückersatzanspruch des - nach den vom Antragsteller befürchteten Feststellungen vielleicht gar nicht invaliden - Klägers ergeben sollte. Zum anderen kann auch von der behaupteten Bindung an für den Standpunkt des Antragstellers nachteilige Feststellungen keine Rede sein; jenen Tatsachen, die für die Beantwortung der für die Rechtsposition des Antragstellers gegenüber dem Kläger allein entscheidenden Frage maßgeblich sind, nämlich ob er das Gutachten lege artis erstellt hat, fehlt im vorliegenden Verfahren die für die Entscheidung rechtserhebliche Bedeutung, sodass hier insoweit gar keine Feststellungen zu treffen sind.

Dem gegenüber dient eine Streitverkündung nach stRsp dem Zweck, den als Schuldner eines Ersatzanspruchs in Frage kommenden darauf aufmerksam zu machen, dass der Anspruchsteller als Partei eines anhängigen Verfahrens beabsichtigt, dieses Verfahren auch im Interesse des Ersatzpflichtigen zu führen, also nicht nur seine eigenen, sondern auch die fremden Interessen zu verfolgen. Durch die Streitverkündung wird dem Verständigten die Möglichkeit genommen, auch wenn er dem Verfahren nicht als Nebenintervenient beitritt, Einwendungen zu erheben, die er schon im Vorprozess hätte erheben können und die dort für die Entscheidung wesentlich gewesen wären.

In diesem Rahmen ist der Nebenintervenient an die seine Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihm in jenem Verfahren unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Es ist daher auch der Umfang der Bindungswirkung einer Entscheidung gegenüber dem Nebenintervenienten durch Rsp des OGH seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d hinlänglich geklärt, wobei die Bindungswirkung ohnehin nur eine mögliche Folge einer Nebenintervention (oder ihrer Unterlassung), nicht aber Voraussetzung für ihre Zulässigkeit ist.

Von dieser Rechtslage ist das Rekursgericht nicht abgewichen, wenn es erkannte, dass der Ausgang dieses Rechtsstreits die Rechtssphäre des Antragstellers nicht berührt; ist doch im vorliegenden Verfahren gar nicht zu prüfen, ob die von ihm erbrachten Leistungen mängelfrei waren. Sein rechtliches Interesse am Obsiegen des Klägers wurde daher zu Recht verneint. Ein allfälliges wirtschaftliches Interesse oder das Interesse am Erzielen bestimmter Beweisergebnisse (hier: zur Frage der Invalidität des Klägers) reicht zur Begründung eines rechtlichen Interesses nicht aus.