10.02.2011 Verfahrensrecht

OGH: Verletzung von Dokumentationspflichten, Beweisvereitelung durch Vernichtung eines Beweisgegenstands - Verschiebung der Beweislast?

Zwar kann eine Verletzung von Dokumentationspflichten auch außerhalb des Arzthaftungsrechts aufgrund ergänzender Vertragsauslegung zu einer Beweiserleichterung für den anderen Vertragspartner führen; das gilt aber nicht, wenn dieser Vertragspartner den dann dem Dokumentationspflichtigen obliegenden Gegenbeweis durch Vernichtung eines Beweismittels vereitelt; diese Erwägungen gelten nur für Fälle der Beweiserleichterung wegen Dokumentationspflichtverletzungen; eine allgemeine Beweislastverschiebung wegen Beweisvereitelung - wie sie im deutschen Recht angenommen wird - ist damit nicht verbunden


Schlagworte: Beweislast, Verschiebung, Verletzung von Dokumentationspflichten, Beweisvereitelung durch Vernichtung eines Beweisgegenstands, Schadenersatzrecht
Gesetze:

§§ 266 ff ZPO, §§ 1295 ff ABGB

GZ 4 Ob 199/10h, 15.12.2010

OGH: Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass weder Beweisschwierigkeiten noch die "Nähe" zum Beweis eine Verschiebung der objektiven Beweislast rechtfertigen. Anderes gilt zwar allenfalls bei "tief in die Sphäre einer Partei reichenden Umständen". Dies setzt aber voraus, dass die nach allgemeinen Grundsätzen beweispflichtige Partei ihrer eigenen Beweispflicht im zumutbaren Maß nachkommt. Diese Voraussetzung hat die Klägerin hier nicht erfüllt, weil sie weder eine Untersuchung der verfärbten Würste vornehmen ließ noch eine Probe für eine Begutachtung aufbewahrte.

Die Klägerin verweist an sich zutreffend auf die Rsp des OGH zu den beweisrechtlichen Folgen der Verletzung einer ärztlichen Dokumentationspflicht. Diese Pflicht dient auch der Beweissicherung. Wird sie verletzt, so kommt dem Patienten zum Ausgleich der dadurch entstandenen Schwierigkeit, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Pflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zugute. Im Allgemeinen ist zu vermuten, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme auch tatsächlich nicht getroffen wurde. Die Vermutung eines objektiven Sorgfaltsverstoßes wird damit aber nicht begründet.

Das Anknüpfen am Zweck der Dokumentationspflicht zeigt, dass diese Rsp auf einer ergänzenden Auslegung des Behandlungsvertrags beruht. Hätten redliche Parteien an die Möglichkeit von Beweisschwierigkeiten wegen Verletzung von vertraglichen Dokumentationspflichten gedacht, hätten sie Konsequenzen auf beweisrechtlicher Ebene vereinbart. Der Grund der Beweiserleichterung liegt daher in Wertungen des materiellen Rechts, nicht - wie zum vergleichbaren Problem in Deutschland vertreten - in einer Analogie zu einzelnen Bestimmungen des Prozessrechts, die in erster Linie an einem Verhalten im Prozess anknüpfen (zB §§ 307 Abs 2, 369 und 381 ZPO).

Die dargestellte Rsp zur Arzthaftung kann grundsätzlich auf die Verletzung anderer vertraglicher Dokumentationspflichten übertragen werden, wenn deren Zweck ebenfalls in der Ermöglichung eines sonst für den Geschädigten nur schwer zu führenden Beweises liegt. Denn auch hier ist anzunehmen, dass redliche Parteien für den Fall der unterbliebenen Dokumentation eine der Schwere der Pflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung vereinbart hätten. Dies gilt insbesondere dann, wenn Maßnahmen zu dokumentieren sind, die der Geschädigte typischerweise nicht unmittelbar wahrnehmen kann, weil sie ausschließlich in der Sphäre des Dokumentationspflichtigen zu treffen waren.

Ob eine solche Beweiserleichterung eingreift und wie weit sie gegebenenfalls reicht, hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist auch das Verhalten der Gegenseite zu berücksichtigen: Redlichen Vertragspartnern kann nicht unterstellt werden, dass sie zwar eine Beweiserleichterung wegen Verletzung der Dokumentationspflicht angenommen, die Vernichtung eines ebenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts geeigneten Beweismittels durch den Auftraggeber aber als unerheblich angesehen hätten. Anders gewendet: Das Abweichen von der gesetzlichen Beweislastverteilung wäre ihnen nur dann sachgerecht erschienen, wenn der dadurch Begünstigte dem nun Beweisbelasteten nicht die Möglichkeit nimmt, den jetzt auf seiner Seite erforderlichen Beweis zu führen.

Ein solcher Fall lag hier vor. Denn die Klägerin verfügte mit den verfärbten Würsten über ein Beweismittel, das ebenfalls zur Klärung der Schadensursache dienen konnte. Dieses Beweismittel hat sie vernichtet und so der Beklagten die Möglichkeit genommen, eine - wie auch immer ausgestaltete - Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin zu entkräften. Damit liegen aber keine ausreichenden Sachgründe vor, die ein Abgehen von der gesetzlichen Beweislastverteilung rechtfertigen könnten.

Aus diesem Grund kann im konkreten Fall offen bleiben, wie weit eine mit einer Dokumentationspflichtverletzung begründete Beweiserleichterung tatsächlich gereicht hätte. Nach der Rsp zur Arzthaftung wäre lediglich anzunehmen, dass die zu dokumentierende Maßnahme nicht gesetzt wurde. Im Anlassfall wäre daher mangels erbrachten Gegenbeweises davon auszugehen gewesen, dass die Beklagte die Würste bei der Anlieferung nicht überprüft und auch die Umgebungsparameter (Temperatur, Feuchtigkeit, Luftumwälzung) nicht laufend kontrolliert habe. Der Kausalzusammenhang zwischen diesen Pflichtverletzungen und dem tatsächlich eingetretenen Schaden wäre damit aber noch nicht erwiesen gewesen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass insofern in einem zweiten Schritt ein Anscheinsbeweis eingegriffen hätte.

Auf die zuletzt angestellten Erwägungen kommt es aber nicht an, weil wegen der Vernichtung der Würste durch die Klägerin von vornherein keine Beweiserleichterung in Bezug auf die objektive Pflichtverletzung in der Sphäre der Beklagten anzunehmen ist. Damit fällt die ungeklärte Frage, ob ein den Schaden verursachender Sorgfaltsverstoß der Beklagten vorlag, der Klägerin zur Last.

Die Grundsätze des Anscheinsbeweises helfen der Klägerin unter diesen Umständen nicht weiter. Denn seine Anwendung setzte einen typischen Kausalverlauf voraus, nicht bloß eine rein zeitliche Abfolge von behaupteter Ursache und Schaden. Ein typischer Kausalverlauf ist hier aber nicht zu erkennen, weil die Ursache der Verfärbung nach den Feststellungen ebenso in der Sphäre des Auftraggebers liegen kann.