10.02.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit

Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen; diese werden durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (sog zweigliedriger Streitgegenstand), nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens


Schlagworte: Streitanhängigkeit
Gesetze:

§ 233 ZPO, § 226 ZPO

GZ 7 Ob 207/10g, 15.12.2010

OGH: Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus. Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Diese werden nach hM durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (sog zweigliedriger Streitgegenstand), nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens. Streitanhängigkeit liegt demnach dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt. Ob dies zutrifft oder nicht, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab.

Die Ansicht der Klägerin, es lägen verschiedene Streitgegenstände vor, weil im Erstprozess eine Irrtumsanfechtung vorgenommen werde, während mit der vorliegenden Klage Schadenersatzansprüche verfolgt würden, geht von einem dreigliedrigen Streitgegenstandsbegriff aus, der aber einer gesetzlichen Grundlage entbehrt und von der hM daher abgelehnt wird. Eine der im Revisionsrekurs zitierten Rsp, die eine rechtliche Qualifikation des Klagegrundes ausnahmsweise dann als bindend betrachtet, wenn sie der Kläger ausdrücklich und ausschließlich vorgenommen hat, entsprechende Situation ist hier nicht gegeben.

Der Klägerin ist einzuräumen, dass Streitanhängigkeit dann nicht gegeben ist, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen nur teilweise übereinstimmen, wenn also beim später geltend gemachten Anspruch weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Streitanhängigkeit völlige Identität der Tatsachenbehauptungen in beiden Rechtsstreitigkeiten voraussetzte. Entscheidend ist vielmehr, ob der vorgetragene Sachverhalt im Wesentlichen oder im Kern jenem entspricht, der schon in der ersten Klage vorgebracht wurde.

Gem § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen.