17.02.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur geänderten Rsp des EGMR iZm Zweiseitigkeit des Provisorialverfahrens

Die geänderte Rsp des EGMR bewirkt zwar, dass das rechtliche Gehör unter gewissen Voraussetzungen nunmehr auch im erstinstanzlichen Provisorialverfahren verletzt werden kann; eine Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeiten im Falle einer die Nichtigkeit ablehnenden Rekursentscheidung ist daraus jedoch nicht ableitbar


Schlagworte: Exekutionsrecht, einstweilige Verfügungen, rechtliches Gehör, Revisionsrekurs
Gesetze:

§ 389 EO, Art 6 EMRK, § 402 EO, § 78 EO, § 528 ZPO, § 519 ZPO

GZ 2 Ob 140/10t, 02.12.2010

OGH: Mit der Entscheidung vom 15. 10. 2009, Micallef gegen Malta, 17056/06, änderte der EGMR seine bisherige Rsp. Danach sind im Regelfall nunmehr auch im Provisorialverfahren die Garantien des Art 6 EMRK voll anwendbar. In Ausnahmefällen, etwa dann, wenn die Effektivität der Maßnahme von einer raschen Entscheidung abhängt, wird aber weiterhin die einseitige Erlassung einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners zulässig sein, weil ja der nachfolgend mögliche Widerspruch das rechtliche Gehör sicherstellt.

Nach einhelliger LuRsp ist im Provisorialverfahren die Verneinung eines im Rekursverfahren gerügten Nichtigkeitsgrundes nicht weiter anfechtbar. Dies gilt auch für die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Ebenso kann ein in zweiter Instanz verneinter Verfahrensmangel im Revisionsrekursverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.

Wurde das Vorliegen eines Prozesshindernisses von den Vorinstanzen übereinstimmend verneint, ergibt sich der Rechtsmittelausschluss schon aus § 528 Abs 2 Z 2 ZPO; im Übrigen wird zu dessen Begründung ganz allgemein auf das von der EO prinzipiell übernommene Rechtsmittelsystem der ZPO verwiesen. Dabei wird auf die analoge Anwendung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO im Rekursverfahren abgestellt. Dazu wird in stRsp die Auffassung vertreten, es wäre ein untragbarer Wertungswiderspruch, wenn zwar die Verwerfung einer Nichtigkeitsberufung aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht angefochten werden könnte, ein inhaltsgleiches Rechtsschutzbegehren im Rekursverfahren aber einer Überprüfung in dritter Instanz zugänglich wäre.

Die analoge Anwendung der Anfechtungsbeschränkungen des § 519 ZPO im Rekursverfahren wurde in der jüngeren Rsp des OGH nur für solche Fälle abgelehnt, in denen das Rekursgericht in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung eine Prozesseinrede verworfen hat.

Die geänderte Rsp des EGMR bewirkt zwar, dass das rechtliche Gehör unter gewissen Voraussetzungen nunmehr auch im erstinstanzlichen Provisorialverfahren verletzt werden kann. Eine Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeiten im Falle einer die Nichtigkeit ablehnenden Rekursentscheidung ist daraus jedoch nicht ableitbar.