10.03.2011 Verfahrensrecht

OGH: Ablehnung eines Richters - zweiseitiges Verfahren?

Das Verfahren über die Ablehnung eines Richters ist grundsätzlich zweiseitig; dem Gegner des Ablehnungswerbers ist - außer bei offenkundig unbegründeten Anträgen - durch Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit Gehör zu gewähren, und zwar sowohl in erster als auch gegebenenfalls in zweiter Instanz; wird die Zweiseitigkeit des Verfahrens bejaht, besteht kein Grund, an der bisher einen Kostenersatz ablehnenden Rsp festzuhalten


Schlagworte: Ablehnung von Richtern, Zweiseitigkeit des Verfahrens, Unbefangenheit, Prozesskosten, Recht auf den gesetzlichen Richter
Gesetze:

§§ 19 ff JN, §§ 40 ff ZPO

GZ 4 Ob 143/10y, 18.01.2011

OGH: Soweit die §§ 19 bis 25 JN keine Sonderregelungen für das Rechtsmittelverfahren in Ablehnungssachen enthalten, richtet es sich nach den Vorschriften jenes Verfahrens, in dem die Ablehnung erfolgt. Nach § 521a Abs 1 ZPO idF der ZVN 2009 ist das Rekursverfahren im Zivilprozess zweiseitig, wenn kein bloß verfahrensleitender Beschluss vorliegt. Da die Entscheidung über die Befangenheit eines Richters nicht bloß verfahrensleitenden Charakter hat, spricht die Neuregelung in der ZPO dafür, auch über den Rekurs gegen die Abweisung eines Ablehnungsantrags in einem zweiseitigen Verfahren zu entscheiden. Das entspricht der gegenwärtigen Praxis des OLG Wien (1 R 50/10w), und auch der 2. Senat des OGH hat im Verfahren 2 Ob 96/10x, wenngleich ohne das in seiner Entscheidung ausdrücklich festzuhalten, die Einholung einer Rekursbeantwortung veranlasst.

Die Auffassung, wonach die Ablehnung eines Richters nur die Belange des Ablehnungswerbers berührt, ist mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) nicht vereinbar.

Nach Art 87 Abs 3 B-VG sind die gerichtlichen Geschäfte für eine bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. Dadurch wird das Recht auf den gesetzlichen Richter präzisiert. Daher begründet die (nicht nach § 260 Abs 4 ZPO geheilte) Verletzung der Geschäftsverteilung - entgegen älterer Rsp - auf einfachgesetzlicher Ebene den (relativen) Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO. Auch bei der inhaltlichen Entscheidung über eine Ablehnung ist der damit möglicherweise verbundene Eingriff in das Recht auf den gesetzlichen Richter zu berücksichtigen.

Damit steht aber dem Recht des Ablehnungswerbers auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Gericht (Art 6 EMRK), das im Weg der Ablehnung ein Abweichen von der Geschäftsverteilung erforderlich machen kann, ein in gleicher Weise verfassungsrechtlich begründetes Recht der anderen Partei gegenüber, und zwar jenes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen, dh geschäftsverteilungsgemäßen Richter. Ein Eingriff in dieses Recht erfordert zwingend die Gewährung rechtlichen Gehörs. Das ist bei vergleichbarer (Verfassungs-)Rechtslage für das deutsche Recht unstrittig. Tragfähige Gründe, ungeachtet dessen für das österreichische Recht an der Einseitigkeit festzuhalten, sind nicht zu erkennen. Dies wird auch durch die Rsp zu Art 6 EMRK bestätigt: Danach ist rechtliches Gehör ua vor der Entscheidung über Kostenrekurse und über Rekurse gegen die Aufschiebung einer Exekution zu gewähren, weiters in Sicherungsverfahren und vor einer Urteilsberichtigung. Bei der Entscheidung über die Ablehnung eines Richters, die Grundrechte beider Parteien berührt, kann schon aufgrund eines Größenschlusses nichts anderes gelten.

§ 24 Abs 2 JN, wonach die Stattgebung der Ablehnung unanfechtbar ist, steht dieser Lösung nicht entgegen. Diese Regelung wird damit begründet, dass bei einer stattgebenden Entscheidung der ersten Instanz immer ein - wenn auch im Einzelfall noch so geringer - Grad der Befangenheit angenommen werden muss und ein (selbst erfolgreiches) Rechtsmittel diesen Anschein nicht mehr beseitigen könnte. Diese Erwägungen tragen nicht, wenn erst über einen Ablehnungsantrag oder einen Rekurs gegen dessen Zurückweisung entschieden werden muss. Die in § 24 Abs 2 JN angeordnete Asymmetrie des Rechtsmittelverfahrens ist daher kein Argument gegen die Beteiligung der anderen Partei am Ablehnungsverfahren. Vielmehr spricht die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels umso mehr für die Gewährung rechtlichen Gehörs schon in erster Instanz.

Aufgrund dieser Erwägungen ist das Verfahren über die Ablehnung eines Richters grundsätzlich zweiseitig. Dem Gegner des Ablehnungswerbers ist - außer bei offenkundig unbegründeten Anträgen - durch Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit Gehör zu gewähren, und zwar sowohl in erster als auch gegebenenfalls in zweiter Instanz.

Zwar soll die Ablehnung den Parteien nicht die Möglichkeit geben, sich eines ihnen nicht genehmen Richters zu entledigen; dennoch ist aber im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Die zweifache Grundrechtsrelevanz einer Ablehnung (unparteiisches Gericht, gesetzlicher Richter) gebietet ein ausgewogenes Vorgehen. Dabei genügt es, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte: Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung; Gerechtigkeit soll nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden. Der Anschein der Befangenheit besteht insbesondere bei persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und einer Partei, die über ein kollegiales oder beruflich bedingtes Verhältnis hinausgehen.

Eine Mehrzahl von Richtern kann nur erfolgreich abgelehnt werden, wenn für jeden Einzelnen konkrete Ablehnungsgründe angegeben werden. Zwar könnte die Ablehnung auch darauf gestützt werden, dass bei allen Richtern im Wesentlichen dieselben Ablehnungsgründe vorliegen. Die bloße Befürchtung einer ungünstigen allgemeinen Stimmung reicht dafür aber ebensowenig aus wie der - mit der richterlichen Tätigkeit der Natur der Sache nach verbundene - bloß berufliche Kontakt mit einem Rechtsanwalt oder Notar.

Wird die Zweiseitigkeit des Verfahrens bejaht, besteht kein Grund, an der bisher einen Kostenersatz ablehnenden Rsp festzuhalten. Vielmehr bildet das Ablehnungsverfahren ebenso wie etwa ein Verfahren über eine Unzuständigkeitseinrede einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist.