28.04.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, welche Voraussetzungen bei der Bestellung eines Kinderbeistands nach § 104a AußStrG vorliegen müssen

Das Interesse und Wohl des betroffenen Kindes steht im Zentrum der Beurteilung, ob die Bestellung eines Kinderbeistands nach den Umständen des Falls geboten ist; für die Berücksichtigung von gegenläufigen Interessen anderer Verfahrensbeteiligter bieten Wortlaut und Zweck des Gesetzes keine Grundlage; ob in einem Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren eine Auseinandersetzung von der in § 104a AußStrG geforderten Intensität stattfindet, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Familienrecht, Kinderbeistand, Obsorge, Besuchsrecht, Kindeswohl
Gesetze:

§ 104a AußStrG

GZ 8 Ob 19/11v, 22.03.2011

OGH: Die Regelung, wonach das Gericht die Person des Kinderbeistands aufgrund des Vorschlags des im Gesetz genannten operativen Trägers zu bestellen hat, bedeutet nicht, dass das Gericht an den ersten ihm erstatteten Vorschlag gebunden wäre, sondern nur, dass sich seine Auswahl auf den Kreis der bei der Justizbetreuungsagentur unter Vertrag stehenden Personen beschränkt. Eine Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Justiz und Verwaltung wird dadurch nicht bewirkt, zumal der Umstand, dass die Anzahl der geeigneten und verfügbaren Kandidaten begrenzt ist, keine Besonderheit des Verfahrens nach § 104a AußStrG darstellt. Dieses Problem ist allen Konstellationen wesensimmanent, in denen ein Gericht externe Personen im Interesse von Verfahrensparteien mit bestimmten Aufgaben zu betrauen hat, zB Besuchsbegleiter (§ 111 AußStrG), Sachverständige, Kuratoren oder Sachwalter. Die Beschränkung des als Kinderbeistand in Frage kommenden Personenkreises und die Möglichkeit, eine Namhaftmachung aus wichtigen Gründen zu widerrufen, dient nach den Intentionen des Gesetzgebers einerseits der Kontrolle der finanziellen Bedeckung, aber auch der Qualitätssicherung. Die getroffene Regelung ist objektiv geeignet, diese Zwecke zu erfüllen.

Soweit die Revisionsrekurswerberin mangelnde eigene Mitwirkungsrechte der Eltern bei der Auswahl moniert, ist entgegenzuhalten, dass durch die bloße Auswahl der Person des Kinderbeistands, dem keine Vertretungsbefugnis zusteht, dessen Eignung durch das besondere Bestellungsverfahren gesichert wird und der hinsichtlich der übertragenen Aufgabenkreise unmittelbar und ausschließlich der Aufsicht des Gerichts untersteht, die Rechte des gesetzlichen Vertreters nicht berührt werden.

Ein Kinderbeistand ist nach § 104a Abs 1 AußStrG in Verfahren über die Obsorge oder über das Recht auf persönlichen Verkehr Minderjährigen unter 14 Jahren zu bestellen, wenn dies im Hinblick auf die Intensität der Auseinandersetzung zwischen den übrigen Parteien zur Unterstützung des Minderjährigen geboten ist und dem Gericht geeignete Personen zur Verfügung stehen.

Der Kinderbeistand ist als ein "Vertreter" des Kindes iSd Art 12 der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes zu sehen und ein Mittel zur Durchsetzung seines auch verfassungsgesetzlich verankerten Rechts auf angemessene, seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechende Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten (Art 4 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, BGBl 4/2011).

Das Interesse und Wohl des betroffenen Kindes steht im Zentrum der Beurteilung, ob die Bestellung eines Kinderbeistands nach den Umständen des Falls geboten ist. Für die Berücksichtigung von gegenläufigen Interessen anderer Verfahrensbeteiligter, einschließlich des von der Mutter ins Treffen geführten Interesses an der Vermeidung von Verfahrenskosten, bieten Wortlaut und Zweck des Gesetzes keine Grundlage.

Ob in einem Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren eine Auseinandersetzung von der in § 104a AußStrG geforderten Intensität stattfindet, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Es obliegt dem gebundenen Ermessen des Gerichts, ob es diese Voraussetzung für erfüllt erachtet.

Die erforderliche Intensität wird nach dem Zweck der Bestimmung zu bejahen sein, wenn eine gütliche Einigung der Streitparteien nicht möglich ist und die Eltern so deutliche Differenzen aufweisen, dass sie sachlichen Argumenten nicht mehr zugänglich sind. Im Hinblick auf das maßgebliche Auslegungskriterium des Kindeswohls gebietet die Auseinandersetzung der Eltern jedenfalls dann eine Unterstützung durch einen Kinderbeistand, wenn das Kind durch das Verfahren emotional schwerwiegend belastet und in einen Loyalitätskonflikt verstrickt wird.

Der Revisionsrekurs verkennt Wesen und Zweck des Kinderbeistands, wenn er meint, die Anliegen der Minderjährigen würden ohnehin durch die Mutter vertreten und sie habe darüber hinaus bereits bei der Anhörung durch den Erstrichter und gegenüber der Sachverständigen Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt im Verfahren zu Gehör zu bringen. Einem älteren (hier: 12-jährigen) Kind ist bereits bewusst, dass alle Äußerungen, die es im Rahmen des Verfahrens gegenüber Sachverständigen und dem Richter tätigt, nicht geheim bleiben, sondern im Verfahren verwertet und den zerstrittenen Eltern bekannt werden. Ein Kind, das im Zentrum eines intensiven Besuchsrechts- oder Sorgerechtsstreits steht, kann sich nicht einmal der Diskretion seiner Eltern sicher sein, sondern muss jederzeit damit rechnen, dass sogar seine Äußerungen gegenüber einem Elternteil allein im Verfahren zitiert, interpretiert und als Argument gegen den anderen Teil verwendet werden. Das Kind muss daher bei jeglicher Äußerung zu verfahrensrelevanten Themen mitbedenken, wie die Eltern und das Gericht wohl darauf reagieren könnten und welche Konsequenzen dies für den häuslichen Frieden und die familiären Beziehungen haben würde. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass eine solche Lage für jedes Kind emotional ungemein belastend wirkt.

In dieser Situation soll der Kinderbeistand die Rolle eines persönlichen, neutralen Ansprechpartners des Kindes im Verfahren ausfüllen, es durch Informationen über die Problematik von Trennungen entlasten und ihm das Gefühl der Verantwortlichkeit für die Situation nehmen. Er ist - im Gegensatz zum betreuenden, selbst konfliktbelasteten Elternteil - als Außenstehender auch in der Lage, dem Kind die Besonderheiten und den Gang des gerichtlichen Verfahrens sachkundig sowie ohne einseitige emotionale Beeinflussung zu erklären.

Das Kind kann sich seinerseits dem Kinderbeistand, der zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und nur die Kindesinteressen zu verfolgen hat, anvertrauen, ohne befürchten zu müssen, dass das Gesagte gegen seinen Willen im Verfahren den übrigen Beteiligten bekannt wird. Der Kinderbeistand soll dem Kind eine Stimme geben, wenn es sich äußern möchte, aber nur soweit es will.

Die im Revisionsrekurs geäußerten Zweifel, ob die Bestellung des Kinderbeistands im vorliegenden Fall die bezweckte Stärkung der Position des Kindes erreichen kann, sind nicht schon vorgreifend im Bestellungsverfahren zu prüfen. Es liegt auf der Hand, dass der Erfolg der Tätigkeit des Beistands wesentlich von der Erfüllung der elterlichen Pflicht der derzeit obsorgeberechtigten Mutter abhängen wird, trotz ihrer eigenen ablehnenden Haltung mit dem bestellten Kinderbeistand zu kooperieren und dessen Kontakt mit dem Kind zu fördern. Besondere Gründe, die einen Erfolg der Beistellung ausnahmsweise von vornherein ausschließen würden, werden nicht aufgezeigt. Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Bestellung eines Kinderbeistands nach den Umständen des vorliegenden Falls geboten war, ist vollinhaltlich beizupflichten.

Die im Revisionsrekurs enthaltenen Wiederholungen von im Besuchsrechtsverfahren eingebrachten Argumenten, Vermutungen und Verdächtigungen, insbesondere aber auch das Vorbringen über die Konflikte der Eltern im nachehelichen Aufteilungsverfahren, sind für die Entscheidung inhaltlich ohne Relevanz, unterstreichen allerdings die Richtigkeit der Beurteilung der Vorinstanzen bezüglich der Intensität und Nachhaltigkeit der Auseinandersetzung der Eltern.