12.05.2011 Verfahrensrecht

OGH: Schiedsrecht - zum Versagungsgrund des Art V Abs 2 lit b NYÜ (ordre-public-Widrigkeit)

Nur die Anerkennungsversagungsgründe nach Art V Abs 2 NYÜ sind von Amts wegen wahrzunehmen; das Fehlen der Unterschrift eines von mehreren Schiedsrichtern begründet keine ordre-public-Widrigkeit, sofern die Ursache dafür am Schiedsspruch vermerkt ist; von dem Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit b NYÜ ist generell nur sehr sparsam Gebrauch zu machen


Schlagworte: Internationales Schiedsverfahrensrecht, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, Versagungsgründe, ordre-public-Widrigkeit, Unterschriftsverweigerung, Beratung, Willensbildung
Gesetze:

Art V Abs 2 lit b NYÜ

GZ 3 Ob 154/10h, 13.04.2011

OGH: Nach der Subsidiaritätsklausel des § 86 EO genießen zwischenstaatliche Vereinbarungen Vorrang gegenüber den die Anerkennung von im Ausland errichteten Akten und Urkunden regelnden nationalen Bestimmungen, sodass die Versagungsgründe des Art V NYÜ maßgebend sind. Nur die Anerkennungsversagungsgründe nach Abs 2 dieser Bestimmung sind von Amts wegen wahrzunehmen. Hinsichtlich der Versagungsgründe des Art V Abs 1 NYÜ trifft den Antragsgegner die Behauptungs- und Beweislast.

Nach Art IV Abs 1 NYÜ ist zur Anerkennung und Vollstreckung erforderlich, dass die darum ansuchende Partei zugleich mit ihrem Antrag eine gehörig beglaubigte (legalisierte) Urschrift des Schiedsspruchs (lit a) und die Urschrift der Schiedsvereinbarung (lit b) vorlegt. Die Vollstreckbarkeit darf versagt werden, wenn festgestellt wird, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedspruchs der öffentlichen Ordnung des Landes, in dem darum angesucht wird, widerspricht (Art V Abs 2 lit b NYÜ). Das kann erst bei der Verletzung von Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung angenommen werden. Nur soweit es zur Realisierung des hinter dem ordre-public-Vorbehalts stehenden Zwecks erforderlich ist, kommt eine amtswegige Ermittlung durch das Anerkennungsgericht vor Entscheidung über den Antrag, wie sie offenbar die Verpflichtete vor Augen hat, in Betracht.

Für das österreichische Recht regelt § 606 Abs 1 ZPO die Unterfertigung des Schiedsspruchs. Demnach genügen in Schiedsverfahren mit mehr als einem Schiedsrichter die Unterschriften der Mehrheit aller Mitglieder des Schiedsgerichts, sofern der Vorsitzende oder ein anderer Schiedsrichter am Schiedsspruch vermerkt, welches Hindernis der fehlenden Unterschrift entgegensteht. Ähnliche Regelungen sind in den meisten Schiedsgerichtsordnungen enthalten und entsprechen dem Grundsatz des § 31 Abs 1 Satz 2 UNCITRAL-Modellgesetz. Eine vergleichbare Regelung enthält auch § 1054 Abs 1 Satz 2 dZPO. Gemeinsam ist diesen Bestimmungen, dass sie nicht nur bei physischer Verhinderung eines Schiedsrichters zum Tragen kommen, sondern auch als Schutz gegen einen obstruktiven Schiedsrichter gedacht sind. Damit ist auch der Fall einer schlichten Unterschriftsverweigerung erfasst. Eine Kontrolle der Richtigkeit der Begründung für die fehlende Unterschrift ist nicht möglich und aus Gründen der Rechtssicherheit auch entbehrlich. Das Fehlen der Unterschrift eines von mehreren Schiedsrichtern begründet damit keine ordre-public-Widrigkeit, sofern die Ursache dafür am Schiedsspruch vermerkt ist. Der von der Betreibenden vorgelegte Schiedsspruch bot insoweit keinen Anlass für amtswegige Erhebungen.

Der Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit d NYÜ liegt vor, wenn die Partei, gegen die die Anerkennung und Vollstreckbarkeit geltend gemacht wird, den Beweis erbringt, dass die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren der Vereinbarung der Parteien oder, wenn eine solche fehlt, dem Recht des Landes, in dem das schiedsgerichtliche Verfahren stattfand, widersprochen hat. Die behauptungsbelastete Partei muss zumindest den Anscheinsbeweis führen, dass die Verfahrensverletzung auch Einfluss auf den Inhalt des Schiedsspruchs haben hätte können.

Grundsätzlich kann eine Beratung mündlich, fernmündlich mittels Videokonferenz oder schriftlich durchgeführt werden. Auch die bilaterale Vorverständigung von zwei Schiedsrichtern ist, wenn dies nicht zum faktischen Ausschluss des dritten Schiedsrichters führt, nicht prinzipiell unzulässig. Der OGH hat bereits zur ICC-Schiedsordnung 1998 die telefonische Erörterung durch den Vorsitzenden des Schiedsgerichts mit jeweils einem der beiden Mitschiedsrichter nicht als Versagungsgrund nach Art V Abs 1 lit d NYÜ beurteilt. Wie bei einem staatlichen Gericht muss es für die Willensbildung ausreichen, wenn über die Entscheidungsformel und -gründe sinngemäß beraten und abgestimmt wird. Ein schriftlicher Entwurf muss dazu nicht vorliegen.

Von dem Versagungsgrund nach Art V Abs 2 lit b NYÜ ist generell nur sehr sparsam Gebrauch zu machen.