08.01.2005 Wirtschaftsrecht

OGH: Nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung ist der Inhaltskontrolle iSd § 879 Abs 3 ABGB entzogen. Der Begriff der Hauptleistung ist möglichst eng zu verstehen


Mit Urteil vom 18.8.2004 (GZ 4 Ob 112/04f) hat sich der OGH mit Fragen zu AGB`s beschäftigt:

Im konkreten Fall betreibt die Beklagte als Telekommunikationsanbieter sowohl Festnetztelefonie als auch ein Mobiltelefonnetz. In den AGB`s findet sich folgende Klausel: "Laden Sie Ihr Konto rechtzeitig innerhalb der Gültigkeitsdauer (ein Jahr plus 3 Monate) auf, sonst verlieren Sie Ihre Rufnummer und das restliche Guthaben!"Der Kläger (Aktivlegitimation gem § 29 KSchG) begehrte, die Beklagte zur Unterlassung dieser Verfallsklausel zu verurteilen. Die beanstandete Klausel verstoße gegen § 879 Abs 3 ABGB. Im darin angeordneten Verfall des Guthabens eines Kunden, sofern das Konto nicht rechtzeitig innerhalb der Gültigkeitsdauer neu aufgeladen werde, liege eine unangemessene Benachteiligung der Kunden. Eine sachliche Rechtfertigung für den Verfall des Guthabens gebe es nicht. Vielmehr werde der Beklagten ein nicht zu rechtfertigender Vermögensvorteil eingeräumt. Die Beklagte wendete ein, die Klausel betreffe keine Nebenbestimmung, sondern regle die Hauptleistung, sodass eine Angemessenheitskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB nicht stattfinde. Der Kunde werde nicht gröblich benachteiligt, weil für ihn permanent Leistungen bereit gehalten würden, die der Kunde auch dann in Anspruch nehme, wenn er nicht telefoniere.

Der OGH erkannte hierzu: Der § 879 Abs 3 ABGB hat die Inhaltskontrolle vertraglicher Nebenabreden im Auge, nicht jedoch die Einigung über die Ware oder die sonst vertragstypischen Leistungen und das Entgelt. Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Abgrenzung der Haupt- von den Neben-(Leistungs-)Pflichten so zu ziehen, dass die Ausnahmen dieser Gesetzesbestimmung möglichst eng verstanden werden, dass alsoHauptpunkte nur diejenigen Vertragsbestandteile sind, die die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen festlegen, also etwa die im § 885 ABGB genannten "Hauptpunkte", somit diejenigen Bestandteile eines Vertrags, die die Parteien vereinbaren müssen, damit überhaupt ein hinreichend bestimmter Vertrag (§ 869 ABGB) zustande kommt. Mit der Ausnahme soll nur die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen erfasst werden, nicht aber etwa Bestimmungen, welche die Preisberechnung in allg Form regeln oder die vertragstypische Leistung generell näher umschreiben. Noch weniger fallen unter die Ausnahme die durch dispositives Recht geregelten Fragen bei der Hauptleistung, etwa Zeit und Ort der Erfüllung. Daraus ergibt sich, dass nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung der Kontrolle entzogen und der Begriff der Hauptleistung möglichst eng zu verstehen ist. Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen, sollen der Inhaltskontrolle entzogen sein, nicht jedoch Klauseln, die das eigentliche Leistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen. Nicht nur Modalitäten der Preisberechnung, sondern auch Verfallsklauseln fallen daher nicht unter die Ausnahme von der Inhaltskontrolle im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB.EineVertragsbestimmung nach § 879 Abs 3 ABGB ist aber nicht schon dann nichtig, wenn sie einen Teil gröblich benachteiligt, sondern vielmehr ein alle Umstände des Falls berücksichtigender Vergleich der Rechtspositionen anzustellen ist, wobei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Da Kunden, die durch Aktivtelefonate ihr Guthaben verbrauchen, nicht im gleichen Ausmaß bezahlen müssen, wie jene, die ihr Guthaben nicht "vertelefoniert" haben (und es somit zum Guthabensverfall kommt) stellt dies eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 leg cit dar. Der von der Beklagten vorgebrachte Einwand, die Rückzahlung unverbrauchter Guthaben würde zu unverhältnismäßigen Kosten führen, greift nicht. Es ist keineswegs zwingend, dass die mit der Rückzahlung unverbrauchter Guthaben anfallenden Kosten auf sämtliche Kunden, also ungerechterweise auch auf jene, die eine derartige Rückzahlung nicht benötigen oder nicht beanspruchen, aufgeteilt werden müssten. Es wäre durchaus möglich, diese Kosten gerade jenen in Rechnung zu stellen,die sie verursachen (etwa durch Abzug einer Manipulationsgebühr im Falle der Rückerstattung eines unverbrauchten Guthabens).