12.02.2005 Wirtschaftsrecht

OGH: Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist nach der Rechtsprechung des EuGH auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen abzustellen; diese Grundsätze gelten auch für Formmarken


Mit Beschluss vom 30.11.2004 (GZ 4 Ob 239/04g) hat sich der OGH mit Gemeinschaftsmarken befasst:

Die Klägerin ist Inhaberin einer dreidimensionalen Gemeinschaftsmarke, die einen sitzenden goldfarbenen Schokoladehasen mit roter Schleife zeigt. Angeboten wird der Hase in verschiedenen Größen, wobei die größeren Hasen mit einer roten Schleife mit Schelle versehen sind. Alle Hasen tragen deutlich sichtbar die Aufschrift "Lindt" (Marktanteil: ca 18%). Die Beklagte bringt ebenfalls Schokoladehasen auf den Markt, die in Goldfolie gewickelt und mit einer roten Masche ausgestattet sind (Marktanteil: ca 9 %).Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils zu unterlassen, Schokolade-Osterhasen in Goldfolie anzubieten und/oder zu vertreiben, die den Lindt-Goldhasen verwechselbar ähnlich sind. Eine Untersuchung eines deutschen Meinungsforschungsinstituts habe ergeben, dass der Goldhase der Klägerin selbst in völlig neutralisierter Form (dh ohne rote Halsschleife und Schelle) 82 % aller Befragten und 86 % des "engeren Verkehrskreises" (Personen, die Schokoladewaren verwenden) bekannt sei, von 61 % aller Befragten und 65 % des engerenVerkehrskreises als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen angesehen werde und von 55 % aller Befragten und 58 % des engeren Verkehrskreises der Klägerin zugeordnet werde.Mit dem Angebot und dem Vertrieb ihres Goldhasen verletze die Beklagte das Markenrecht der Klägerin und verstoße überdies gegen § 1 UWG, weil die Beklagte den Goldhasen der Klägerin bewusst nachgeahmt und damit die Gefahr von Verwechslungen herbeigeführt habe, obwohl ihr eine andersartige Gestaltung ohne weiteres zumutbar gewesen wäre. Der Goldhase der Beklagten sei der Gemeinschaftsmarke der Klägerin verwechselbar ähnlich. Mit Ausnahme der Schelle seien am Goldhasen der Beklagten alle charakteristischen Formgebungsmerkmale der Gemeinschaftsmarke verwirklicht.

Dazu der OGH:Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Verletzung von als Formmarke geschützten Gemeinschaftsmarken fehlt.

Zur Schutzfähigkeit: Nach stRsp sind die Gerichte in Markenverletzungsstreitigkeiten an die Entscheidung des Patentamts im Markeneintragungsverfahren nicht gebunden; sie haben vielmehr die Vorfrage, ob das Markenrecht des Klägers besteht, selbstständig zu prüfen. Nach Art 95 Abs 1 GMV haben die Gemeinschaftsmarkengerichte von der Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarke auszugehen, sofern diese nicht durch den Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls (wegen mangelnder Benutzung) oder der Nichtigkeit (wegen eines älteren Rechts des Beklagten) angefochten wird; von Amts wegen darf das Gemeinschaftsmarkengericht die Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarke in keinem Fall prüfen.Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte zum Sicherungsantrag allerdings nicht (fristgerecht) geäußert. Eine amtswegige Prüfung lässt die GMV (wie oa) jedoch nicht zu. Die Rechtsmittelausführungen beider Parteien zur Schutzfähigkeit der für die Klägerin registrierten Formmarke wären aber selbst dann unbeachtlich, wenn die Beklagte die mangelnde Schutzfähigkeit schon in 1.Instanz eingewandt hätte. Ob nämlich eine Formmarke die notwendige Unterscheidungskraft besitzt, ist im Verletzungsverfahren nur aufgrund einer - im Provisorialverfahren ausgeschlossenen - Widerklage zu prüfen. Damit kann im Provisorialverfahren auch von vornherein kein Anlass bestehen, das von der Beklagten zur Prüfung der Schutzfähigkeit der Formmarke angeregte Vorabentscheidungsersuchen zu stellen.

Zur Verwechslungsgefahr: Art 9 Abs 1 lit b GMV stimmt im Wesentlichen mit Art 5 Abs 1 lit b MarkenRL und dem diese Bestimmung umsetzenden § 10 Abs 1 Z 2 MSchG überein. Die Rechtsprechung des EuGH und die an der EuGH-Rechtsprechung orientierte nationale Rechtsprechung zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist daher auch bei der Beurteilung von Verletzungsklagen nach der Gemeinschaftsmarkenverordnung anzuwenden. Für den Begriff der Verwechslungsgefahr gilt gemeinschaftsweit ein einheitlicher Maßstab. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen abzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beiden Zeichen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrgenommen werden und dass der Grad der Aufmerksamkeit von der Art der Ware oder Dienstleistung abhängt. Diese Grundsätze gelten auch für Formmarken. Anders als in dem der Entscheidung 4 Ob 222/03f ("Juvina-Flasche") zugrunde liegenden Fall erfasst die Formmarke der Klägerin nicht einen Teil der Gesamtgestaltung des Produkts, sondern dessen gesamte Gestaltung.Markenrechtlich geschützt ist die Form des Hasen in ihren Ausstattungsdetails, der Form des Hasenkörpers, seiner Färbung und Zeichnung sowie seiner Aufmachung mit (roter) Schleife und Schelle.Wenn daher ein Durchschnittsverbraucher mit der beim Kauf eines Schokoladehasen vorauszusetzenden (geringen) Aufmerksamkeit einen Goldhasen der Beklagten wahrnimmt, so wird er ihn für ein durch die Gemeinschaftsmarke geschütztes Erzeugnis der Klägerin halten. Dass der Goldhase der Beklagten, anders als der den Gegenstand der Formmarke bildende Hase, keine Aufschrift und auch keine Schelle trägt, vermag die Verwechslungsgefahr nicht auszuschließen.