05.07.2007 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Die Zeit der Ausbildung der muskulären Voraussetzungen für eine Berufsausübung ist allein nicht als Zeit des Erwerbs "qualifizierter Kenntnisse und Fähigkeiten" iSd § 255 Abs 2 ASVG anzusehen


Schlagworte: Sozialrecht, Invaliditätspension, Berufsschutz, angelernter Beruf, Aufbau der Muskulatur
Gesetze:

§ 255 ASVG

In seinem Erkenntnis vom 17.04.2007 zur GZ 10 ObS 13/07w hat sich der OGH mit dem Berufschutz nach § 255 Abs 2 ASVG befasst:

Die Argumentation des Klägers in seiner Revision läuft darauf hinaus, dass der Beruf des Sensenschmiedes als ein eigener "Anlernberuf" zu sehen sei, weil er neben der Anlernzeit von einem Jahr für das Erlernen der handwerklichen Fähigkeiten noch eine weitere, ebenfalls als Anlernzeit zu wertende Zeit von etwa zwei weiteren Jahren erfordere, die zum Aufbau der Armmuskulatur benötigt werde, wodurch der Beruf überhaupt erst dem Anforderungsprofil entsprechend ausgeführt werden könne. In diesem Zusammenhang sei es unzulässig, zum Vergleich den übergeordneten (Lehr-)Beruf des Schmieds heranzuziehen; entscheidend seien allein die von einem Sensenschmied benötigten handwerklichen Fähigkeiten und Tätigkeiten, die denen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten seien.

Dazu der OGH: Diesen Revisionsausführungen ist zu erwidern, dass der Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG mit den geforderten "qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten" (siehe Abs 2) auf das Erreichen eines bestimmten Ausbildungsniveaus abstellt. Zu den erlernten Berufen (Abs 1) gehören alle Berufe, für die ein bestimmter Ausbildungsgang vorgeschrieben ist, dessen erfolgreicher Abschluss Voraussetzung für die Ausübung dieses Berufes ist. Ein angelernter Beruf erfordert nach der Definition des Abs 2 den Erwerb qualifizierter Kenntnisse oder Fähigkeiten, die denen in einem erlernten Berufe gleichzuhalten sind. Maßgebliche Bedeutung kommt demnach der Qualifikation durch Ausbildung zu. Nach § 8 Abs 2 BAG haben Lehrausbildungsvorschriften Berufsbilder zu enthalten, die entsprechend den dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten und den zur Ausübung dieser Tätigkeiten erforderlichen Hilfsverrichtungen unter Berücksichtigung der Anforderungen, die die Berufsausbildung stellt, festzulegen sind; nach Lehrjahren gegliedert sind die wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausübung zu vermitteln sind, anzuführen. Der Begriff der Fertigkeiten bezieht sich tendenziell auf den manuellen Bereich, während der Begriff der Kenntnisse den Bereich des Wissens, etwa über Arbeitsvorgänge, Arbeitsmittel und entsprechende Vorschriften, abdeckt. Auch diese beiden Begriffe deuten nicht darauf hin, dass das bloße Erlangen körperlicher Voraussetzungen (hier: Entwicklung der muskulären Struktur der Arme) zwecks Erreichens einer "normalen" Arbeitsgeschwindigkeit unter die Qualifikation durch Ausbildung subsumiert werden kann. Dagegen spricht auch, dass die kräftemäßige Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufs in einem starken Maß von der individuellen Konstitution abhängig sind, sodass die Dauer der erforderlichen Ausbildung von der körperlichen Ausgangslage abhängen müsste. Eine Rückbildung der Muskulatur nach einem langen Krankenstand oder einem zwischenzeitigen Berufswechsel müsste außerdem zu einer erneuten Phase der "Ausbildung" führen.