31.03.2006 Wirtschaftsrecht

EuGH: Eine nationale Regelung, wonach die Gewinne einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, mit einem höheren Steuersatz belastet werden als die Gewinne einer Tochtergesellschaft einer solchen Gesellschaft, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet, verletzt den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit


Schlagworte: Steuerrecht, Besteuerung, Veranlagung, Körperschaftssteuer, Einkommen, Zweigniederlassung, Tochtergesellschaft, Muttergesellschaft
Gesetze:

Art 43, Art 48 EGV

Mit Urteil vom 23.02.2006 zur GZ C-253/03 hat sich der EuGH mit der Besteuerung von Zweigniederlassungen befasst:

Die Gesellschaft CLT-UFA SA hat ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in Luxemburg. Sie unterhielt im Jahr 1994 in Deutschland eine Zweigniederlassung. Das Finanzamt veranlagte die Gesellschaft als in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Körperschaft mit ihrem durch die deutsche Zweigniederlassung erzielten Einkommen für das Streitjahr zur Körperschaftsteuer.

Der Bundesfinanzhof hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die Art 43 u 48 EGV einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die Gewinne einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, mit einem höheren Steuersatz belastet werden als die Gewinne einer Tochtergesellschaft einer solchen Gesellschaft, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet.

Dazu der EuGH: Art 43 EGV ist eine der grundlegenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Nach dieser Vorschrift umfasst die Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Niederlassungsstaats für seine eigenen Angehörigen. Die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit erstreckt sich auch auf Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässig sind. Da Art 43 EGV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden. Insoweit ist festzustellen, dass die Anwendung eines höheren Steuersatzes, der für die Gewinne der Zweigniederlassungen von Muttergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gilt, allgemein eine nachteilige Behandlung gegenüber dem niedrigeren Steuersatz darstellt, der für die Gewinne der Tochtergesellschaften solcher Gesellschaften gilt. Demzufolge schränkt eine derartige nationale Regelung die Freiheit ein, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen.

Diese unterschiedliche Behandlung ist objektiv jedoch nicht gerechtfertigt. Das Finanzamt sowie die deutsche Regierung machen geltend, dass Gewinne, die eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausschütte, das Vermögen der Tochtergesellschaft verließen, während die Gewinne, die von einer Zweigniederlassung an ihr Stammhaus transferiert würden, nach wie vor zum Vermögen ein und derselben Gesellschaft gehörten. Dieser grundlegende Unterschied sowie praktische Gründe hätten den nationalen Gesetzgeber veranlasst, die Anwendung des niedrigeren Steuersatzes auf die Gewinne der Zweigniederlassungen auszuschließen.

Dem ist nicht zu folgen. In beiden Fällen werden die Gewinne der Gesellschaft zur Verfügung gestellt, die die Tochtergesellschaft oder die Zweigniederlassung kontrolliert. Der einzige wirkliche Unterschied zwischen diesen beiden Sachverhalten besteht darin, dass die Ausschüttung der Gewinne einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft eine entsprechende förmliche Entscheidung voraussetzt, während die Gewinne einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft auch ohne eine förmliche Entscheidung zum Vermögen dieser Gesellschaft gehören. Außerdem ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss sowie aus den Erklärungen des Finanzamts und der deutschen Regierung, dass die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne, auch wenn sie das Vermögen der Tochtergesellschaft verlassen, dieser von der Muttergesellschaft wieder zur Verfügung gestellt werden können, und zwar als Eigenkapital oder Gesellschafterdarlehen. Daher rechtfertigt der Umstand, dass die Gewinne einer Tochtergesellschaft mit ihrer Ausschüttung an deren Muttergesellschaft das Vermögen der Tochtergesellschaft verlassen, es nicht, auf diese Gewinne einen niedrigeren Steuersatz als den anzuwenden, der für die gleichen Gewinne einer Zweigniederlassung gilt.

Art 43 u 48 EGV stehen daher einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Gewinne einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, mit einem höheren Steuersatz belastet werden als die Gewinne einer Tochtergesellschaft einer solchen Gesellschaft, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet.