27.07.2007 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Verfügt der Versicherte - ausnahmsweise - über zwei gleichwertige "ständige" Aufenthaltsorte, so ist gem § 175 Abs 2 Z 1 ASVG der Weg von jedem dieser beiden ständigen Aufenthaltsorte zur Arbeitsstätte geschützt


Schlagworte: Sozialrecht, Arbeitsunfall, Wegunfall, ständiger Aufenthaltsort
Gesetze:

§ 175 ASVG

In seinem Beschluss vom 11.05.2007 zur GZ 10 ObS 47/07w hat sich der OGH mit dem Arbeitsunfall befasst:

Die Klägerin hat ungefähr zu gleichen Teilen in ihrer Wohnung in Traun und im Haus ihres Lebensgefährten in Sattledt die verschiedenen Wohnfunktionen in Anspruch genommen und auch ihre Freizeit verbracht. Die Klägerin erlitt bei der üblichen Fahrt am Freitagmorgen von Sattledt zur Arbeit nach Traun einen Verkehrsunfall, bei dem sie verletzt wurde.

OGH: § 175 Abs 2 Z 1 ASVG stellt auf den "ständigen Aufenthaltsort" (das ist der Ort, an dem der Versicherte selbst so häufig und regelmäßig lebt, dass dieser als sein ständiger Aufenthalt bezeichnet werden kann) des Versicherten ab. Es kommt daher darauf an, ob dieser Ort der Mittelpunkt der Lebensführung des Versicherten ist. Als ständiger Aufenthaltsort kommt demnach im Regelfall die ständige Wohnung des Versicherten in Betracht, ausnahmsweise aber auch ein anderer Ort, an dem der Versicherte eine Wohnfunktion (zB Wohnen, Essen, Schlafen) in Anspruch genommen hat, weil er seine Wohnung aus objektiven Gründen nicht benutzen konnte oder weil ihm deren Benutzung nicht zumutbar ist, oder wenn er außerplanmäßig zur Arbeit gerufen wird. Ständiger Aufenthalt im Sinne dieser Lehre und Rechtsprechung ist daher der Ort, den der Versicherte tatsächlich zum Mittelpunkt seiner privaten Lebensinteressen macht und an dem er sich tatsächlich häufig und regelmäßig aufhält.

Der Umstand, wo die Versicherte gemeldet ist, kann für den Versicherungsschutz gem § 175 Abs 2 Z 1 ASVG nicht entscheidend sein, weil die tatsächlichen Umstände maßgebend sind. Es ist daher mit den Ausführungen des Berufungsgerichtes davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund ihrer konkreten Lebensgestaltung sowohl in ihrer Wohnung in Traun als auch im Haus ihres Lebensgefährten in Sattledt den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatte und daher ausnahmsweise beide Wohnungen für sie gleichermaßen den Lebensmittelpunkt darstellten. Es kann aber auch einem Versicherten nicht verwehrt werden, sich mehrere Wohnungen (Aufenthaltsorte) einzurichten, wenn nur der Wille deutlich erkennbar wird, dass auch diese zweite Wohnung tatsächlich als zweiter ständiger Aufenthaltsort des Versicherten anzusehen ist und nicht nur vorübergehend, etwa aus Gründen der Erholung oder für sonstige Gelegenheiten benützt wird. Nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes standen die Wohnung der Klägerin in Traun und das Haus ihres Lebensgefährten in Sattledt für die Klägerin und ihren Lebensgefährten gleichermaßen als Lebensbereich zur Verfügung, sodass es sich beim Haus des Lebensgefährten der Klägerin um einen ihrer Wohnung in Traun gleichwertigen zweiten "ständigen" Aufenthaltsort handelte. Die Befürchtung der Beklagten, bei einer Bejahung der Qualifikation des Hauses des Lebensgefährten in Sattledt als "ständigen Aufenthaltsort" der Klägerin iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG im vorliegenden Fall würden auch die meisten Freizeit- und Wochenenddomizile der Versicherten "ständige" Aufenthaltsorte sein, ist schon deshalb nicht berechtigt, weil ein Wochenendhaus vom Versicherten in der Regel wohl nur an arbeitsfreien Tagen aufgesucht werden wird.