20.07.2007 Wirtschaftsrecht

OGH: Ausführungen zu Eigenart und Schutzumfang im Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht


Schlagworte: Musterrecht, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Eigenart, Schutzumfang, informierter Benutzer
Gesetze:

Art 6 Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV), Art 10 GGV

In seinem Beschluss vom 22.05.2007 zur GZ 4 Ob 43/07p hat sich der OGH mit dem Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht befasst:

OGH: Bei der Prüfung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, kommt es nicht auf eine vollständige Übereinstimmung der Merkmale zwischen dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und vorbekannten Geschmacksmustern an. Nicht die Merkmale im Einzelnen, sondern nur der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Geschmacksmuster sind auf Unterschiede zu prüfen. Der Gesamteindruck kann durch prägende Merkmale bestimmt sein. Zur Ermittlung des Gesamteindrucks sind daher die einzelnen Merkmale des Geschmacksmusters nach ihrem Beitrag zum Gesamteindruck zu bewerten und zu gewichten. Der Gesamteindruck des Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist mit dem des vorbekannten Geschmacksmusters zu vergleichen. Die Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn keines der vorbekannten Geschmacksmuster alle prägenden Merkmale des Gemeinschaftsgeschmacksmusters aufweist oder wenn ein vorbekanntes Geschmacksmuster prägende Merkmale umfasst, die das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht besitzt. Tragen alle Merkmale im gleichen Maß zum Gesamteindruck bei, ist die Eigenart dann zu bejahen, wenn sich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das vorbekannte Geschmacksmuster in mindestens einem Merkmal voneinander unterscheiden.

Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt (Art 10 Abs 1 GGV). Diese Definition folgt im Wortlaut spiegelbildlich der Definition der Eigenart. Die Frage der Schutzfähigkeit und die Verletzungsfrage sind somit nach denselben Prüfungskriterien zu beurteilen. Bei Beurteilung der Frage, ob ein anderes Geschmacksmuster in den Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters fällt, ist der jeweilige Gesamteindruck zu ermitteln und zu vergleichen. Es kommt nicht auf einen mosaikartig aufgespaltenen Vergleich von Einzelheiten an. Maßgeblich ist vielmehr die Würdigung des Gesamteindrucks unter dem Blickwinkel, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt. Durch die Verwendung der gleichen Terminologie für Schutzumfang und Eigenart führt die GGV zu gleichen Beurteilungsmaßstäben: Ein hohes Maß an Eigenart gibt Raum für einen großen Schutzumfang. Umgekehrt führt geringe Eigenart auch nur zu einem kleinen Schutzumfang. Ist der informierte Benutzer des geschützten Gemeinschaftsgeschmacksmusters bereit, trotz geringer Unterschiede zwischen Formenschatz und Gemeinschaftsgeschmackmuster die Eigenart zu bejahen, muss er gleichermaßen im Verletzungsstreit bei derartigen Unterschieden zwischen dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und der angegriffenen Ausführungsform die Verletzung verneinen.

Der "informierte Benutzer", aus dessen Sicht sowohl die Ermittlung der Eigenart als auch die Festlegung des Schutzumfangs erfolgen soll, wird in der GGV nicht näher definiert. Die Beurteilung soll primär aus der Sicht der Zielgruppe erfolgen, der gegenüber das Design seine Wirkung entfaltet. Beim informierten Benutzer muss es sich nicht notwendigerweise um den Endverbraucher handeln, zum Kreis der informierten Benutzer gehören beispielsweise Hersteller und Fachhändler des betreffenden Wirtschaftszweigs oder die im Auftrag des Endbenutzers Tätigen, etwa Handwerker. Jedenfalls unterscheidet sich der informierte Benutzer von einem bloßen Endbenutzer durch gehobene Kenntnisse über Geschmacksmuster auf seinem Gebiet, es ist ihm ein gewisses Maß an Kenntnissen oder Designbewusstsein zuzutrauen (als ein für geschmackliche Fragen aufgeschlossener und mit ihnen einigermaßen vertrauter Durchschnittsbetrachter). Es kommt jedenfalls nicht auf das Wissen und Können von Designern an, Prüfungsmaßstab kann keinesfalls die Perspektive eines Fachmanns auf dem Gebiet des Produktdesigns sein. Der informierte Benutzer unterscheidet sich daher durch ein gewisses Maß an Kenntnissen und Aufgeschlossenheit für Designfragen vom "durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren- oder Dienstleistungen, wenn auch nicht Wissen und Fähigkeiten eines Fachmanns anzulegen sind.