14.10.2007 Wirtschaftsrecht

OGH: Ein kartellrechtliches Bußgeldverfahren ist nicht dem Strafrecht im engeren Sinn zuzurechnen; ein Antrag auf Verhängung einer Geldbuße ist daher nicht an den Erfordernissen einer strafrechtlichen Anklageschrift iSd § 207 StPO, sondern vielmehr an den Anforderungen des § 9 Abs 1 AußStrG zu messen


Schlagworte: Kartellrecht, Geldbußen, Strafrecht, Außerstreitrecht
Gesetze:

§ 29 KartG, Art 6 MRK, § 207 StPO

In seinem Beschluss vom 12.09.2007 zur GZ 16 Ok 4/07 hat sich der OGH mit der Rechtsnatur der kartellrechtlichen Geldbußen befasst:

Die Antragsgegnerin macht geltend, der verfahrenseinleitende Geldbußenantrag habe die gesetzlichen Inhaltserfordernisse nicht erfüllt und sei zu unpräzise; er enthalte kein Vorbringen zum vorgeworfenen Verhalten, keine Begründung und keine Beweismittel und verstoße gegen Art 6 Abs 3 lit a EMRK und § 207 StPO.

Dazu der OGH: Der Senat hat - der herrschenden Meinung folgend, wonach kartellrechtliche Geldbußen des Gemeinschaftsrechts wegen ihres repressiven Charakters zwar nicht zum allgemeinen (Kriminal-)Strafrecht, aber doch zum Strafrecht im weiteren Sinn zählen - schon wiederholt ausgesprochen, dass die kartellrechtliche Geldbuße nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit "strafrechtsähnlichem Charakter" ist.

Der österreichische Gesetzgeber hat im Rahmen der KartGNov 2002 erwähnt, die Kriminalstrafen aus Angleichung an das europäische Wettbewerbsrecht zu beseitigen und hat in der selben Novelle mit § 168b StGB einen Tatbestand für Submissionskartelle geschaffen, der seither die einzige Strafbestimmung im österreichischen Kartellrecht ist. Folgerichtig ist nunmehr das Geldbußeverfahren nach innerstaatlichem Recht nicht den Strafbehörden, sondern dem Kartellgericht zugeordnet (§ 29 KartG).

Kartellrechtliche Geldbußen stellen zwar ein bestimmtes Verhalten unter Sanktion, richten sich aber nicht (wenigstens potentiell) an die Allgemeinheit, also an jedermann, sondern nur gegen eine bestimmte Personenkategorie, nämlich Unternehmer, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (§ 1 Abs 1 KartG) oder die ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen (§ 5 Abs 1 KartG). Sie sind nach ihrer "wahren Natur" nicht gegen strafrechtliche Zuwiderhandlungen gerichtet, sondern sind Mittel des staatlichen Zwangs, um die kartellrechtlich vorgesehene Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Pönalisiert wird nicht Kriminalunrecht, sondern die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften. Kartellrechtliche Geldbußen sind daher nach in Österreich und Deutschland herrschender Auffassung keine echten Kriminalstrafen.

Ist demnach das Bußgeldverfahren kein Verfahren vor einem Strafgericht über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage, kommt auch eine analoge Anwendung der Verfahrensvorschrift des § 207 StPO nicht in Betracht. Ein im außerstreitigen Verfahren beim Kartellgericht einzubringender Antrag auf Verhängung einer Geldbuße (§ 29 KartG) ist nicht an den Erfordernissen einer strafrechtlichen Anklageschrift iSd § 207 StPO, sondern vielmehr - dem weniger formstrengen Charakter des Verfahrens außer Streitsachen entsprechend - an den Anforderungen des § 9 Abs 1 AußStrG zu messen. Gem § 9 Abs 1 AußStrG genügt es, dass der Antrag hinreichend erkennen lässt, welche Entscheidung oder sonstige gerichtliche Tätigkeit der Antragsteller anstrebt und aus welchem Sachverhalt er dies ableitet.