24.04.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Ausschließung oder Ablehnung von Richtern im Kartellverfahren

39 KartG schafft keinen Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund sui generis für in kartellgerichtlichen Verfahren tätig werdende Richter; daher sind sowohl in Betreff der Berufs- als auch der Laienrichter die allgemeinen Regelungen der §§ 19 ff JN anzuwenden


Schlagworte: Kartellverfahren, Ablehnungsgrund, Ausschließungsgrund, Befangenheit
Gesetze:

§ 39 KartG, Art 6 EMRK, §§ 19 ff JN

GZ 5 Ob 154/07v, 06.11.2007

Der Antragsgegner lehnt die für die Beurteilung der Frage, ob und in welcher Form eine Abstellungsentscheidung gegen ein Unternehmen zu verfügen ist, zuständigen Richter ab, da sie auch erkennende Richter bei der Entscheidung über den Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde auf Verhängung einer Geldbuße sind.

OGH: Nach der Judikatur zur Unbefangenheit iSd Art 6 Abs 1 EMRK wird in objektiver Hinsicht geprüft, ob ein Richter aus anderen als subjektiven Gründen, also solchen die sich nicht direkt aus der betreffenden Person ergeben, einer Partei gegenüber voreingenommen erscheint. Dabei werden vor allem Funktionen und Organisation des Verfahrens beurteilt, weil verhindert werden soll, dass sich ein erkennender Richter bereits vor dem Hauptverfahren eine Meinung über den Ausgang des Verfahrens, insbesondere über die Schuld des Angeklagten bildet. Die Meinungsbildung während des Verfahrens wirft dagegen - ebenso wie das vorbereitende Aktenstudium - naturgemäß keine Bedenken auf. Probleme hinsichtlich der objektiven Unparteilichkeit von Richtern können sich insbesondere dann stellen, wenn diese mit einer Sache mehrfach und in unterschiedlicher Funktion befasst sind. Die Teilnahme an anderen Verfahren, welche gegen den gleichen Betroffenen geführt werden, ist mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar, ebenso, dass ein Rechtsmittelgericht über verschiedene Rechtsmittel derselben Person zu entscheiden hat, die denselben Sachverhalt betreffen. Auch die Tatsache, dass bei einer erneuten Entscheidung über einen von der Rechtsmittelinstanz zurückverwiesenen Fall Richter mitwirken, die an der früheren, aufgehobenen Entscheidung beteiligt waren, stellt die Unparteilichkeit des Gerichts nicht in Frage, weil es das Kriterium der Unparteilichkeit nicht erfordert, dass im Fall der Aufhebung einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung die Sache an ein anderes Gericht oder eine anders zusammengesetzte Abteilung des erstinstanzlichen Entscheidungsorgans zurückverwiesen wird. Der Umstand, dass dieselben Richter sowohl an der ersten als auch an der zweiten Entscheidung teilnehmen, bietet daher keinen hinreichenden Anlass an der Unparteilichkeit zu zweifeln.

Innerhalb strafgerichtlicher Verfahren werden Probleme der Unabhängigkeit auch in Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Gericht und Strafverfolgungsbehörde geprüft. Es soll verhindert werden, dass der Richter mit Angelegenheiten befasst wird, auf Grund derer er sich bereits vor dem Hauptverfahren eine abschließende Meinung zum Fall gebildet hat. Ein wichtiger Anhaltspunkt dafür ist, dass der betreffende Richter bereits vor dem Hauptverfahren mit Fragen befasst war, die mit den innerhalb der Hauptverhandlung zu entscheidenden vergleichbar sind. Ausgeschlossenheit wird aber selbst für den Bereich des Kriminalstrafverfahrens dann verneint, wenn in mehreren getrennt geführten Strafverfahren gegen verschiedene mutmaßliche Mitglieder ein und derselben Verbrecherorganisation geurteilt wird, selbst wenn die Täterschaft des aktuell Angeklagten bei der Verurteilung eines abgesondert verurteilten Mittäters Voraussetzung war.

Die Entscheidungen, ob eine Geldbuße wegen Zuwiderhandelns gegen das Kartellverbot zu verhängen ist, und jene, ob und wenn ja, in welcher Form eine Abstellungsentscheidung gegen ein Unternehmen zu verfügen ist, betreffen unterschiedliche Fragestellungen.

Auch § 39 KartG schafft keinen Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund sui generis für in kartellgerichtlichen Verfahren tätig werdende Richter. Die Wahrnehmung eines Ausschließungs- oder Befangenheitsgrunds führt regelmäßig zu einer Kompetenzverschiebung und steht daher in einem Spannungsverhältnis zu dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf den gesetzlichen Richter und dem Prinzip der festen Geschäftsverteilung genannten verfassungsrechtlichen Garantien. Um diese nicht durch einfachgesetzliche Regelungen auszuhöhlen, bedürfen Normen in diesem Zusammenhang einer strikten Auslegung. Ein eigener genereller gesetzlicher Ausschließungsgrund kann daher nicht schon dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber nur eine spezifische verfahrensrechtliche Frage der Beweisaufnahme regelt.