05.06.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch" nach § 1 UWG idgF

Allgemeine Ausführungen


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, unlautere Geschäftspraktiken, Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch"
Gesetze:

§ 1 UWG

GZ 4 Ob 225/07b, 11.03.2008

OGH: Aus der gemeinschaftsrechtlich nicht erforderlichen Übernahme des Begriffs "Geschäftspraktik" in den Bereich des (reinen) Mitbewerberschutzes (§ 1 Abs 1 Z 1 UWG) ergibt sich, dass der Gesetzgeber kein gespaltenes Lauterkeitsrecht schaffen wollte. In diesem Sinn führen auch die EB zur RV (144 BlgNR 23. GP 2) aus, der Entwurf regle "im Wesentlichen den B2B-Bereich nicht anders als den B2C-Bereich"; Mitbewerber- und Verbraucherschutz könnten nicht getrennt werden. Das trifft grundsätzlich zu. Eine (möglichst) parallele Auslegung der (primär) mitbewerberschützenden und der (primär) verbraucherschützenden Bestimmungen des Lauterkeitsrechts ist schon zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich, und zwar insbesondere angesichts der Tatsache, dass ein- und dieselbe Geschäftspraktik durchaus unter beide Fälle der Generalklausel fallen kann. Mitbewerber- und Verbraucherschutz sind in aller Regel zwei Seiten derselben Medaille, die kaum trennbare Sachverhalte bilden.

Aufgrund dieser Erwägungen muss der für das UWG zentrale Begriff der (wettbewerbsrechtlichen) Unlauterkeit einen grundsätzlich einheitlichen Inhalt haben. Er wird in beiden Fällen des § 1 Abs 1 UWG - wie bisher - durch Bedachtnahme auf Unternehmer-, Verbraucher- und Allgemeininteressen zu konkretisieren sein. Dabei werden allerdings in § 1 Abs 1 Z 1 UWG die Interessen der Mitbewerber, in § 1 Abs 1 Z 2 UWG jene der Verbraucher im Vordergrund stehen.

Der neue Gesetzeswortlaut zwingt nicht zur Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung. Unlauterkeit ist ebenso wie Sittenwidrigkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nach dem Zweck des Gesetzes zu konkretisieren ist. Durch die Aufnahme der "sonstige[n] unlautere[n] Handlung" in § 1 Abs 1 Z 1 UWG ist sichergestellt, dass das Lauterkeitsrecht nicht auf "Geschäftspraktiken" im (engen) Sinn von § 1 Abs 4 Z 2 UWG (Art 2 lit d RL 2005/29/EG) beschränkt ist. Vielmehr sollten damit alle Handlungen erfasst werden, die bisher unter den Sittenwidrigkeitstatbestand des § 1 UWG idF vor der Novelle 2007 fielen. Weiters ergibt sich aus den EB zur RV, dass (ua) die Rechtsprechung zum sittenwidrigen Rechtsbruch "unberührt" bleiben sollte.

Eine Reduktion des Rechtsbruchtatbestands auf die Verletzung von "marktverhaltensregelnden" Normen lässt sich somit nicht auf den Willen des Gesetzgebers stützen. Aber auch unabhängig davon gibt es keinen (ausreichenden) Grund für eine solche Selbstbeschränkung des Lauterkeitsrechts. Denn entscheidend für die Wettbewerbsrelevanz der Verletzung einer Norm ist nicht deren Zweck oder Regelungsgegenstand, sondern die tatsächliche Auswirkung auf den Markt. Eine solche Auswirkung ist aber immer dann anzunehmen, wenn ein Unternehmer durch die Verletzung der Norm im Ergebnis einen spürbaren Vorteil gegenüber rechtstreuen Mitbewerbern erlangen kann. In einem solchen Fall sprechen die Interessen der Mitbewerber für eine (auch) lauterkeitsrechtliche Sanktionierung des rechtswidrigen Verhaltens. Denn diesbezügliche Toleranz wäre mit dem lauterkeitsrechtlichen Ordnungskonzept nicht vereinbar, das die "Gleichheit der rechtlichen Ausgangslage der Wettbewerber untereinander postulieren muss". Damit parallel läuft das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung genereller Normen und gegebenenfalls auch jenes von Verbrauchern an der praktischen Wirksamkeit von verbraucherschützenden Regelungen. All das gilt auch und gerade bei Vollzugsdefiziten im verwaltungsrechtlichen Bereich. Für die Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung sprechen weiters die Abgrenzungsprobleme, die sich aus einem Abstellen auf den Regelungsgegenstand oder den (unmittelbaren oder begleitenden) Regelungszweck der übertretenen Norm ergeben können. Dem angeblichen "Ausufern" des Lauterkeitsrechts oder der Gefahr eines "zivilgerichtlichen Dilettierens" im Verwaltungsrecht kann auf andere Weise entgegengewirkt werden.

Die (objektive) Eignung des beanstandeten Verhaltens zur spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs ist nun ausdrücklich Tatbestandsmerkmal von § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Damit hat der Gesetzgeber - der Rechtsprechung des OGH folgend - ein für den Rechtsbruchtatbestand konstitutives Element verallgemeinert. Anders als früher von Koppensteiner vertreten, muss dieses Erfordernis daher auch bei einem Verstoß gegen (unmittelbar) marktverhaltensregelnde Normen erfüllt sein. Allerdings kann sich hier die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs - ausgehend vom Regelungszweck der verletzten Norm und von den typischen Auswirkungen des Rechtsbruchs - schon aus dem (Wiederholungsgefahr indizierenden) Normverstoß als solchem ergeben. Ob es darüber hinaus - insbesondere bei der Verletzung wettbewerbsneutraler Normen - noch weiterer Sachverhaltselemente bedarf, aus denen die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs geschlossen werden kann, und die vom Kläger zu behaupten und zu beweisen wären, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Eine auf das Erlangen eines Wettbewerbsvorsprungs gerichtete Absicht ist demgegenüber nicht (mehr) zu verlangen. Das Unwerturteil ergibt sich (auch) beim Rechtsbruchtatbestand aus dem Zweck des Lauterkeitsrechts, und zwar im konkreten Fall aus dem Interesse der Mitbewerber und der Allgemeinheit an der Durchsetzung gleicher rechtlicher Rahmenbedingungen für das Handeln im Wettbewerb. Für die Berücksichtigung der (subjektiven) Absicht, diese Rahmenbedingungen zu verletzen, ist daher beim Unterlassungsanspruch kein Raum. Das gilt um so mehr, als Wettbewerbsabsicht als solche nicht Tatbestandsmerkmal des neuen § 1 Abs 1 Z 1 UWG ist.

Demgegenüber ist in der Sache daran festzuhalten, dass nur eine solche Verletzung von Normen als unlauter anzusehen ist, die nicht mit guten Gründen vertreten werden kann. Grund dafür ist nicht eine moralische Bewertung des beanstandeten Verhaltens, die mit der Funktion eines modernen Lauterkeitsrechts wohl tatsächlich unvereinbar wäre. Ungeachtet dessen ist aber die Frage zu stellen, ob von den Marktteilnehmern tatsächlich verlangt werden kann, sich im Zweifel immer nach der für sie nachteiligsten (strengsten) Auslegung eines Gesetzes zu richten. Denn das wäre der Fall, unterstellte man dem Unlauterkeitsbegriff des § 1 Abs 1 Z 1 UWG von vornherein jede Verletzung eines Gesetzes, die in Zweifelsfällen immer erst ex post in behördlichen Verfahren festgestellt werden kann. Die Funktion des Lauterkeitsrechts verlangt diese Schärfe nicht: Denn gleiche Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln sind auch dann gegeben, wenn sich alle Marktteilnehmer an eine vertretbare Auslegung der für ihr Handeln maßgebenden Normen halten.

Der Funktion des Lauterkeitsrechts entspricht es daher viel eher, nicht unmittelbar am - ex post - ermittelten "richtigen" Inhalt der verletzten Norm anzuknüpfen, sondern das spezifisch lauterkeitsrechtliche Unwerturteil nicht nur auf die Eignung zur Wettbewerbsverzerrung, sondern auch auf die Unvertretbarkeit der jeweiligen Gesetzesauslegung zu gründen. Ein auf die konkreten Fähigkeiten der handelnden Personen bezogener Verschuldensvorwurf ist damit jedenfalls nicht verbunden. Auch nach der Richtlinie 2005/29/EG, die der UWG-Novelle 2007 zugrunde liegt, ist eine Geschäftspraktik nur dann unlauter, wenn (französisch "si", englisch: "if") sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt ("diligence profesionelle", "professional diligence") widerspricht (Art 5 Abs 2 lit a). Diese Bestimmung wurde mit der UWG-Novelle 2007 zwar nur - in Form eines Relativsatzes - in § 1 Abs 1 Z 2 UWG übernommen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist das Sorgfaltserfordernis aber auch dem Unlauterkeitsbegriff im mitbewerberschützenden Lauterkeitsrecht (§ 1 Abs 1 Z 1 UWG) zugrunde zu legen. Daher ist Unlauterkeit auch hier nur dann anzunehmen, wenn der belangte Mitbewerber "den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt" verletzt, "bei dem billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ihn der Unternehmer gem den anständigen Marktgepflogenheiten in seinem Tätigkeitsbereich anwendet." Die in dieser Bestimmung enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe sind nach dem Zweck des Lauterkeitsrechts zu konkretisieren. Auf dieser Grundlage kann man aber von einem Unternehmer "billigerweise" nur erwarten, dass seine Handlungen einer vertretbaren Auslegung der dafür maßgebenden Gesetze entsprechen.

Dieses Verständnis des Rechtsbruchtatbestands verhindert - ebenso wie das Spürbarkeitskriterium - ein Ausufern der lauterkeitsrechtlichen Judikatur. Denn die Gerichte haben in dieser Fallgruppe der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel nur darüber zu wachen, dass die Marktteilnehmer in jenem Ordnungsrahmen bleiben, der ihnen durch den eindeutigen Wortlaut und Zweck der maßgebenden Regelungen sowie gegebenenfalls durch höchstgerichtliche Rechtsprechung gesetzt ist. Auch eine beständige Verwaltungspraxis ist in diesem Zusammenhang - wie bisher - zu beachten. Ein bloß formloses Dulden durch Verwaltungsbehörden wird freilich nicht dazu führen können, dass ein (ansonsten) eindeutiger Gesetzesverstoß mit guten Gründen vertretbar würde.

Ein Verstoß gegen spezielle Normen des UWG - insbesondere durch Anwendung einer nach dessen Anhang jedenfalls unzulässigen Geschäftspraktik - fällt nicht in die hier erörterte Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch". Denn dort hat schon der Gesetzgeber die für das lauterkeitsrechtliche Unwerturteil erforderliche Abwägung vorgenommen und auf dieser Grundlage Sanktionen angeordnet. Darin liegt ein Unterschied zur hier erforderlichen Ableitung des lauterkeitsrechtlichen Unwerturteils aus der Verletzung anderer genereller Normen. Ob es auch außerhalb des UWG Bestimmungen mit spezifisch lauterkeitsrechtlichem Charakter gibt und wie deren Verletzung zu behandeln wäre, ist hier nicht zu entscheiden.