12.06.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Gilt im Hinblick auf die Änderung des § 90 Abs 1 AktG durch das GesRÄG 2005 das Verbot der Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied der Muttergesellschaft nunmehr auch für Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft ?

Von dem in § 90 Abs 1 AktG ausgesprochenen Verbot sind auch Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften der Gesellschaft erfasst


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, AG, Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat, Arbeitnehmer, Mutter- / Tochtergesellschaft
Gesetze:

§ 90 Abs 1 AktG

GZ 6 Ob 34/08f, 13.03.2008

OGH: Die Novellierung des § 90 Abs 1 AktG durch das GesRÄG 2005 sollte sicherstellen, dass die Unabhängigkeit der Mandatsträger gewahrt bleibt. Diese Unabhängigkeit wäre aber nicht gewährleistet, wenn ein Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft, der dem Vorstand (bzw der Geschäftsführung) der Tochtergesellschaft weisungsgebunden ist und in persönlicher Abhängigkeit des ihm übergeordneten Leitungsorgans dieser Gesellschaft tätig wird, im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft ein Mandat übernimmt und in dieser Funktion nunmehr den Vorstand der Muttergesellschaft, der die gesamte Verantwortung für den Konzern trägt, überwachen soll. Wenn nach der Absicht des Gesetzgebers ein gesetzlicher Vertreter der Tochtergesellschaft die gesetzlichen Vertreter der Muttergesellschaft als deren Aufsichtsrat nicht kontrollieren können soll, weil damit Interessenkonflikte verbunden sind und die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats unterlaufen wird, so muss dieses Verbot auch für einen Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft gelten, weil seine Abhängigkeit mindestens ebenso gegeben ist wie die des ihm übergeordneten Leitungsorgans der Tochtergesellschaft von der Geschäftsführung der Muttergesellschaft und er als Aufsichtsratsmitglied der Muttergesellschaft auch seinen den Gesamtkonzern betreffenden Überwachungsaufgaben nicht unabhängig nachkommen könnte.

Damit ist aber § 90 Abs 1 AktG idF GesRÄG 2005 gemessen an der dargelegten Absicht des Gesetzgebers und seiner immanenten Teleologie insoweit unvollständig, als darin nur von den Arbeitnehmern "der Gesellschaft", nicht aber - wie im ersten Satz dieser Bestimmung - auch von "ihrer Tochtergesellschaft" die Rede ist. Dafür, dass der Gesetzgeber Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft ungeachtet des der Novelle zugrundeliegenden Gesetzeszwecks vom Verbot der Besetzung gegen das Konzerngefälle bewusst ausnehmen wollte, besteht nach den Gesetzesmaterialien nicht der geringste Anhaltspunkt. Die dargelegte Gesetzeslücke ist sohin durch ausdehnende Auslegung des Wortes "Gesellschaft" im § 90 Abs 1 Satz 2 AktG dahin zu schließen, dass von dem in dieser Bestimmung ausgesprochenen Verbot auch Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften der Gesellschaft erfasst sind. Dies gilt umso mehr dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - den Aufsichtsratsmitgliedern der Muttergesellschaft als Angestellten der Tochtergesellschaft überdies im Wege der Gesamtvertretung zusammen mit Vorstandsmitgliedern der Tochtergesellschaft auch Geschäftsführungsbefugnisse zukommen.

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Verbot der Aufsichtsratsmitgliedschaft entgegen dem "natürlichen Organisationsgefälle im Konzern" bei oder nach Aufnahme der Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied ist die Nichtigkeit der gleichwohl vorgenommenen Bestellung gem § 879 Abs 1 ABGB, zumal der Zweck der Verbotsnorm die Ungültigkeit des Mitgliedschaftsverhältnisses verlangt.