19.06.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Freie Benützung iSd § 5 Abs 2 UrhG und Computeranimation eines Portraitfotos

Eine freie Benützung kommt umso weniger in Betracht, je ausgeprägter die Individualität der Vorlage ist, desto weniger wird sie gegenüber dem neu geschaffenen Werk verblassen


Schlagworte: Urheberrecht, freie Benützung, Computeranimation
Gesetze:

§ 5 Abs 2 UrhG

GZ 4 Ob 170/07i, 11.03.2008

OGH: Eine freie Benützung kommt umso weniger in Betracht, je ausgeprägter die Individualität der Vorlage ist, desto weniger wird sie gegenüber dem neu geschaffenen Werk verblassen. Umgekehrt wird sie um so eher verblassen, je stärker die Individualität des neuen Werks ist.

Einer Kunstrichtung, die bewusst auf alle nicht funktionell bedingten Gestaltungselemente verzichtet, stehen im ästhetischen Bereich zwangsläufig nur geringere Gestaltungsmöglichkeiten als anderen Kunstrichtungen offen. Je weniger Gestaltungsmöglichkeiten aber zur Verfügung stehen, desto weniger geht von der Individualität des Schöpfers in das Werk ein: Desto schwächer ist sein Schutz.

Bei einem Portraitfoto sind die Gestaltungsmöglichkeiten von vornherein gering, daher ist der urheberrechtliche Schutz entsprechend eng. Das Gesicht aus der Abbildung wurde für die Computeranimation farblich adaptiert, etwas um die eigene Achse gedreht, vergrößert und gezerrt. Auch die Form der Augen und Ohren wurden verändert. Lediglich Lichtsituation, Mund, Haaransatz und Handstellung sind ident. Zu berücksichtigen ist auch, dass dem Schöpfer der Computeranimation enge gestalterische Grenzen gesetzt waren, als er ausgehend vom Foto möglichst gut das tatsächliche Aussehen des vermissten Mädchens Jahre später darstellen wollte. Die durchgeführten digitalen Veränderungen bewirken einen derart großen Abstand zur Abbildung, dass die Individualität der Vorlage im Vergleich zum neuen Werk verblasst. Die Computeranimation ist somit als eine freie Benützung von der Abbildung iSd § 5 Abs 2 UrhG zu beurteilen. Sie ist ein neues, unabhängiges und selbst urheberrechtlich geschütztes Werk.