07.08.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Voraussetzungen der äquivalenten Benützung einer patentierten Erfindung

Allgemeine Ausführungen


Schlagworte: Patentrecht, äquivalente Benützung
Gesetze:

§ 22 PatG

GZ 17 Ob 6/08v, 20.05.2008

OGH: Die Lehre von der Äquivalenz dehnt den Schutzbereich eines Patents auf solche Benutzungshandlungen aus, die zwar im Anspruch nicht genannt sind, die aber von Sinn und Zweck der Erfindung (= Erfindungsgedanke) durch Verwendung gleichwirkender Austauschmittel Gebrauch machen. In den Schutzbereich eines Patents fallen damit auch Ausführungsformen, deren Elemente ganz oder zum Teil von der patentgemäßen Ausführungsform abweichen, sofern die ausgetauschten den beschriebenen Elementen patentrechtlich äquivalent sind.

Die äquivalente Benützung einer patentierten Erfindung liegt nach der Rechtsprechung des OGH und des OPM vor, wenn eine mit dem allgemeinen Fachwissen ausgerüstete Fachperson im Prioritätszeitpunkt unter Berücksichtigung des Stands der Technik ohne erfinderisches Bemühen den Patentansprüchen die ausgetauschten Merkmale als funktionsgleiche Lösungsmittel entnimmt.

Ob eine Patentverletzung durch äquivalente Mittel vorliegt, ist demnach unter Zugrundelegung der Maßfigur einer mit allgemeinem Fachwissen ausgerüsteten Fachperson in einem dreistufigen Prüfungsverfahren anhand eines Vergleichs der patentgemäßen mit der in der angegriffenen Ausführungsform verwirklichten Problemlösung zu beurteilen. Folgende Bedingungen müssen kumulativ vorliegen:a) Die abgewandelte Ausführungsform löst das der Erfindung zugrundeliegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln (Gleichwirkung);b) die Fachperson kann die bei der Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe ihrer Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden (Naheliegen);c) die Überlegungen der Fachperson sind derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert, dass die Fachperson die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der patentgemäßen Ausführung gleichwertige Lösung in Betracht zieht.

Gleichwirkung im zuvor beschriebenen Sinn bedeutet, dass das Austauschmittel dieselbe technische Wirkung erzielen muss, die das im Patentanspruch beschriebene Lösungsmittel nach der Lehre des Klagepatents erreichen soll. Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren, so genügt eine bloße Übereinstimmung im Verfahrensergebnis noch nicht. Gleichwirkend ist ein Ersatzmittel nur dann, wenn das angegriffene Verfahren außerdem von dem für die patentgeschützte Lehre maßgeblichen technischen Gedanken Gebrauch macht. Eine Gleichwirkung ist deshalb zu verneinen, wenn der mit dem angegriffenen Verfahren beschrittene Lösungsweg von dem patentgeschützten Lösungsweg so weit entfernt ist, dass er nicht mehr als dessen Verwirklichung anzusehen ist.

Äquivalenz bei mehrstufigen chemischen Reaktionsabläufen ist nach dem Gesagten somit trotz Unterschieden in einzelnen Verfahrensschritten gegenüber den Patentansprüchen noch nicht ausgeschlossen, sofern nur mit den unterschiedlichen Verfahrensschritten dieselbe technische Wirkung erzielt wird, der angegriffene Lösungsweg für die Fachperson nahe liegt und die Fachperson die beiden Lösungswege als gleichwertig empfindet. Entscheidend ist auch hier, was eine Fachperson aufgrund ihres Fachwissens dem Patent im Prioritätszeitpunkt entnimmt und welche Lösungswege sich daraus für sie ergeben. Es greift deshalb zu kurz, mehrstufige chemische Reaktionsabläufe nur dann als äquivalent zu beurteilen, wenn sie die gleiche Anzahl von Verfahrensschritten aufweisen und in allen ihren Verfahrensschritten entweder direkt oder in äquivalenter Form übereinstimmen, ohne dabei zu berücksichtigen, ob der angegriffene Lösungsweg der Fachperson als nahe liegend erscheinen musste.

Ob Äquivalenz vorliegt, ist zwar in erster Linie eine Rechtsfrage. Welches Verständnis eine Fachperson im maßgebenden Zeitpunkt hatte, ist allerdings ein objektivierendes, dem Beweis zugängliches Element. Hat der Beklagte das alternative Verfahren offengelegt, trifft die Behauptungs- und Beweislast für äquivalenzbegründende Umstände den Kläger.