07.08.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Schranken des Stimmrechts bei der Beschlussfassung über eine Sonderprüfung nach § 118 Abs 1 AktG

Allgemeine Ausführungen


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, AG, Sonderprüfung, Stimmrecht
Gesetze:

§ 118 AktG

GZ 6 Ob 28/08y, 08.05.2008

OGH: Die Sonderprüfung nach § 118 Abs 1 AktG ist eine Kontrollmaßnahme mit dem Zweck, bestimmte Vorgänge bei der Gründung oder Geschäftsführung durch eigenverantwortliche Prüfer, deren Objektivität besonders abgesichert ist, dahin zu untersuchen, ob die Verbandsinteressen gewahrt oder vernachlässigt worden sind und die Mitglieder der Verwaltungsorgane ihre Pflichten erfüllt oder verletzt haben.

Zwar ist eine Stimmrechtsausübung in eigener Sache nicht generell unzulässig (vgl § 39 Abs 4 und 5 GmbHG). Nach § 118 Abs 1 Satz 2 AktG können aber bei der Beschlussfassung Aktionäre, die zugleich Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats sind, weder für sich noch für einen anderen mitstimmen, wenn die Prüfung sich auf Vorgänge erstrecken soll, die mit der Entlastung des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder der Einleitung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats zusammenhängen.

Mit § 118 Abs 1 Satz 2 AktG wird ein - gegenüber den allgemeinen Vorschriften über das Stimmverbot (§ 114 Abs 5 AktG) - erweitertes und verschärftes Stimmverbot angeordnet. Die Erweiterung und Verschärfung besteht darin, dass das Stimmverbot bereits an die abstrakte Organstellung anknüpft und gerade von einer konkreten Befangenheit des betreffenden Aktionärs losgelöst ist. § 118 Abs 1 Satz 2 AktG liegt der Gedanke zugrunde, dass niemand in eigener Sache richten soll; dieser Grundgedanke gilt für die AG wie für die GmbH gleichermaßen. Die Willensbildung über die Sonderprüfung soll von gesellschaftsfremden Eigeninteressen freigehalten werden. Diese ratio gebietet jedenfalls eine extensive Auslegung des Stimmverbots.

Freilich kann nach § 118 Abs 1 AktG nicht die Geschäftsführung schlechthin, sondern nur einzelne, bestimmte Vorgänge der Geschäftsführung, die in der abgelehnten Antragstellung auch zum Ausdruck gekommen sind, überhaupt einer Sonderprüfung unterzogen werden. Auch Sonderprüfer dürfen nämlich nicht generell mit der Kontrolle der Geschäftsführung beauftragt werden, sondern es muss sich um Vorgänge bestimmter Art handeln. In diesem Sinne hat der OGH einen Antrag auf Prüfung "der geschäftlichen Vorfälle seit 1. Juli 1984" für unzulässig angesehen.

Allerdings ist anerkannt, dass der Begriff der "Geschäftsführung" in § 118 Abs 1 AktG nicht eng auszulegen ist. In diesem Sinne kann keinem Zweifel unterliegen, dass auch der Jahresabschluss Gegenstand einer Sonderprüfung sein kann, ist doch anerkannt, dass es sich bei dessen Erstellung durch den Vorstand um eine Maßnahme der Geschäftsführung handelt. Aber auch Vorgänge bei der dem Aufsichtsrat obliegenden Überwachung der Geschäftsführung sind nachprüfbar.

Gleiches gilt für die Frage, inwieweit eine Rückstellung wegen eines drohenden Verlusts geboten war. Nach völlig herrschender Ansicht besteht eine Rückstellungspflicht, soweit dies den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht. Ob dieser Pflicht entsprochen wurde, kann im Rahmen einer Sonderprüfung überprüft werden. Dass dabei - etwa im Zusammenhang mit der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Verlusteintritts - auch rechtliche Überlegungen anzustellen sind, spricht keineswegs zwingend gegen die Zulässigkeit einer Sonderprüfung. Ein Grundsatz, wonach die Sonderprüfung sich auf die tatsächliche oder wirtschaftliche Nachprüfung der geprüften Geschäftsführungsvorgänge zu beschränken hätte und ihr deren rechtliche Beurteilung verwehrt bliebe, besteht nicht. Der beklagten Partei ist zuzugeben, dass hier - wie vielfach auch sonst bei unternehmerischen Entscheidungen - ein erheblicher Ermessensspielraum bestehen mag. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Nachprüfung dahin, ob der hier bestehende Ermessensspielraum überschritten wurde, möglich ist.

Die Frage, ob eine Drohverlustrückstellung zu bilden ist, sowie, ob den Angabepflichten für den Anhang (§ 222 Abs 2 UGB) entsprochen wurde, ist nicht nur eine Frage der Geschäftsführung des Vorstands, sondern auch eine Frage, die in den Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats fällt, hat dieser doch nach § 125 Abs 1 AktG innerhalb von zwei Monaten nach Vorlage des Jahresabschlusses und eines allfälligen Konzernabschlusses diesen zu prüfen sowie sich gegenüber dem Vorstand darüber zu erklären. Außerdem wirkt der Aufsichtsrat, sofern er den Jahresabschluss billigt, gemäß § 125 Abs 2 AktG unmittelbar an der Feststellung des Jahresabschlusses mit. Im Übrigen kann der Aufsichtsrat auch hinsichtlich seiner sonstigen organschaftlichen Verantwortung insofern Gegenstand einer Sonderprüfung sein, als zu klären ist, ob er seiner Überwachungspflicht entsprochen hat.

Die zur Zulässigkeit einer Sonderprüfung des Jahresabschlusses angestellten Überlegungen gelten auch für die Angaben im Anhang nach § 238 Z 2 und Z 3 UGB.

Die Erteilung der Entlastung schließt als pauschale Genehmigung der Verwaltung nicht aus, dass diese auch Fehlleistungen erbracht hat. Deshalb sind nach einhelliger Auffassung ungeachtet der Entlastung Sonderprüfungen (§§ 118 ff AktG) für einzelne Geschäftsvorgänge zulässig.

Im Hinblick auf die eingeschränkte materielle Bedeutung der Entlastung kann dieser Begriff in § 118 Abs 1 AktG nicht bloß iSd § 104 AktG verstanden werden, sondern ist erweiternd auszulegen. Im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, die Willensbildung über die Sonderprüfung von gesellschaftsfremden Interessen frei zu halten, ist das Organmitglied bereits dann vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn es um seine Verantwortlichkeit und die Inanspruchnahme für seine Geschäftsführung geht.

In diesem Sinne hat auch der OGH bereits daraus, dass für einen Beschluss, ob gegen einen geschäftsführenden Gesellschafter ein Prozess geführt werden solle, sein Stimmrecht ausgeschlossen ist, abgeleitet, dass auch für den Beschluss, durch den er zu einer bestimmten Rechnungslegung aufgefordert werden solle, kein Stimmrecht zuerkannt werden könne, weil es sich letzten Endes um die Vorbereitung einer Anspruchserhebung handle. Diese Ausführungen lassen sich auf den hier vorliegenden Fall eines Antrags auf Sonderprüfung übertragen.

Auf die Frage der Reihenfolge der Abstimmung über die Entlastung einerseits und den Antrag auf Sonderprüfung andererseits kommt es daher nicht an. Reicht bereits der mögliche Zusammenhang mit der Erhebung von Ansprüchen gegen ein Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats aus, so ist auch nicht entscheidend, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen keine näheren Feststellungen über einen Zusammenhang zwischen dem Antrag auf Einleitung einer Sonderprüfung und konkreten Ansprüchen gegen Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats enthalten.

Aus dem Wortlaut des § 118 Abs 1 Satz 2 AktG, der unterschiedslos alle Mitglieder des Vorstands und alle Mitglieder des Aufsichtsrats dem Stimmverbot unterstellt, ohne darauf abzustellen, welches Mitglied welchen Organs von den Vorwürfen betroffen ist, ergibt sich zunächst, dass das Stimmverbot auch dann, wenn von den zu prüfenden Vorgängen nur ein Mitglied eines der beiden Organe betroffen war, dennoch für alle Mitglieder beider Organe gilt. Nach wohl überwiegender Auffassung ist ein Interessenwiderstreit bei den Mitgliedern des Vorstands und Aufsichtsrats auch dann möglich, wenn ein anderes Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats betroffen ist, sodass auch Vorstands- bzw Aufsichtsratsmitglieder von der Stimmabgabe ausgeschlossen sind, die an dem zu prüfenden Vorgang überhaupt nicht beteiligt waren.

Das Stimmverbot des § 118 Abs 1 Satz 2 AktG gilt auch für eine juristische Person, deren gesetzlicher Vertreter zugleich Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied der AG ist, wenn dieser die juristische Person derart vollständig beherrscht, dass die Ausübung des Stimmrechts seiner alleinigen Willensentschließung unterliegt.

Der Stimmrechtsausschluss eines einzelnen Mitglieds einer Rechtsgemeinschaft (vgl § 62 AktG) führt nicht unbedingt, sondern nur dann zum Ruhen des der Rechtsgemeinschaft zustehenden Stimmrechts, wenn eine von der Interessenkollision ungetrübte Stimmabgabe nicht zu erwarten ist. Die gleiche Auffassung wird bei einer Personenhandelsgesellschaft mit Gesellschaftern, die für sich nicht mitstimmen könnten, vertreten.

Wenngleich das Gesetz dies - im Gegensatz zu § 142 Abs 1 letzter Satz dAktG - nicht ausdrücklich ausspricht, gilt der Stimmrechtsausschluss nicht nur für den betroffenen Aktionär selbst, sondern auch für jeden, der von ihm als Vertreter, Treuhänder oder Legitimationsaktionär seine Stimmberechtigung ableitet. Ein Aktionär, der für sich von der Mitbestimmung über einen Beschlussgegenstand ausgeschlossen ist, kann auch das Stimmrecht eines anderen nicht ausüben. Soweit Schmidt vertritt, auch ein Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats, das nicht selbst Aktionär sei, sei vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn es einen Aktionär bei der Stimmrechtsausübung vertrete, trägt dies der bei der Entscheidung über eine Sonderprüfung nach § 118 Abs 1 AktG typischerweise beim Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied vorliegenden Interessenkollision Rechnung. Diese Auffassung betrifft aber lediglich den Stimmrechtsausschluss aus in der Person des Vertreters gelegenen Gründen und sagt nichts darüber aus, ob die Stimmrechtsausübung nicht auch aus in der Person des Vertretenen gelegenen Gründen ausgeschlossen sein kann. Aus der Auffassung Schmidts - die im Übrigen für ein weites Verständnis des Stimmrechtsausschlusses eintritt - kann sohin kein Argument gegen die Richtigkeit der hL abgeleitet werden, wonach der Stimmrechtsausschluss nicht nur für den betreffenden Aktionär, sondern auch seinen Vertreter gilt.