28.08.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Angemessenheit iSd § 78 Abs 1 AktG bei Zahlung freiwilliger Abfertigungen iZm der Beendigung von Vorstandsmandaten

Die Frage der Höhe der Abfindung eines scheidenden Vorstandsmitglieds im Rahmen von Auflösungsvereinbarungen hängt entscheidend davon ab, ob dem betreffenden Vorstandsmitglied eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann oder ob die Auflösung aus anderen Gründen, die nicht auch zu einer Auflösung des Vorstandsvertrags aus wichtigem Grund führen können, erfolgt


Schlagworte: Aktienrecht, freiwillige Abfertigung eines Vorstandsmitglieds, Ermessen des Aufsichtsrats
Gesetze:

§ 78 AktG

GZ 7 Ob 58/08t, 11.06.2008

Es stellt sich die Frage, ob die freiwillige Abfertigung, mit der eine gütliche Lösung "erkauft" wurde, im Rahmen des Ermessensspielraums der beklagten Ausichtsratsmitglieder lag, die die Klägerin nach § 97 Abs 1 AktG bei Rechtsgeschäften mit den Vorstandsmitgliedern zu vertreten hatten und in deren alleinige Kompetenz daher auch die Auflösung der Vorstandsverträge fiel.

OGH: Der betreffende Ermessensspielraum des Aufsichtsrats wird durch § 78 AktG bestimmt. Danach hat der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder (Gehälter, Gewinnbeteiligung, Aufwandsentschädigung, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des einzelnen Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Die Erfüllung dieser Aufgabe erfordert Umsicht und Weitsicht, weil gleicherweise gegenwärtige wie zukünftige Verhältnisse in Betracht zu ziehen sind. Nach herrschender Meinung gilt § 78 Abs 1 AktG unzweifelhaft auch für an Vorstandsmitglieder gezahlte Abfertigungen im Stadium der Beendigung des Anstellungsvertrags. Die dem Aufsichtsrat vorgegebene Handlungsmaxime, keine unangemessenen Bezüge festzusetzen, würde allerdings auch ohne § 78 AktG gelten, da der Aufsichtsrat zu einem am Unternehmenswohl gem § 70 AktG orientierten Handeln nach dem Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verpflichtet ist (§§ 99, 84 AktG iVm § 70 AktG) und schon deshalb keinesfalls unangemessene Bezüge festsetzen darf. § 78 AktG hat demgemäß (nur) klarstellende Funktion.

Die Frage der Höhe der Abfindung eines scheidenden Vorstandsmitglieds im Rahmen vonAuflösungsvereinbarungen hängt entscheidend davon ab, ob dem betreffenden Vorstandsmitglied eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann oder ob die Auflösung aus anderen Gründen, die nicht auch zu einer Auflösung des Vorstandsvertrags aus wichtigem Grund führen können, erfolgt. Im Fall einer Pflichtverletzung hat sich die Höhe der Abfindungszahlung wohl nur zwischen einem angemessenen Betrag zur Abgeltung eines gewissen Prozessrisikos und gar keiner Zahlung zu bewegen.

Zwar ist das Vorgehen der beklagten Aufsichtsräte ex ante zu betrachten, weshalb eine nachträgliche exakte Untersuchung der damaligen wirtschaftlichen Situation der Klägerin - etwa auch mit sachverständiger Hilfe - letztlich hier nicht zielführend erscheint. Immerhin hat sich die unternehmerische Entscheidung der beklagten Aufsichtsräte aber aus der (nachträglichen) Sicht der Unternehmensentwicklung insofern als richtig erwiesen, als der Kurs der Aktien der Klägerin nach dem "kampflosen" Ausscheiden der beklagten Vorstandsmitglieder ab dem Jahr 2006 eine enorme Steigerung erfuhr. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Entscheidung, sich durch hohe Abfindungszahlungen das vorzeitige Ausscheiden des Viert- und der Fünftbeklagten ohne Rechtsstreitigkeiten sowie eine "reibungslose Übergabe" zu sichern und damit negative Einflüsse auf den Aktienkurs zu vermeiden, als dem Unternehmensinteresse dienlich anzusehen. So betrachtet kann, auch wenn der dem Viert- und der Fünftbeklagten gewährte "Golden Handshake" angesichts der nur noch acht Monate dauernden Vertragszeit allen Beteiligten mit Recht sehr hoch erschien, im Vorgehen der beklagten Aufsichtsratsmitglieder doch noch keine eklatante Überschreitung des Ermessensspielraums erblickt werden. Eine gerichtliche Nachprüfung der Entscheidung des Aufsichtsrats wäre aber nur bei einer geradezu unvertretbaren unternehmerischen Entscheidung möglich.

Da die Abfindungszahlungen nicht als eklatant unangemessen anzusehen sind, ist auch ein Verstoß des Viert- und der Fünftbeklagten gegen die von ihnen gegenüber der Klägerin zu erfüllende Treuepflicht zu verneinen.