11.12.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Urheberrechtlicher Begriff der Öffentlichkeit

Die Rechtsprechung setzt für das Vorliegen von Öffentlichkeit weder eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern einer Veranstaltung als Grenze fest, noch beschränkt sie sich bei der Beurteilung bloß auf das Bestehen familiärer, verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehungen oder auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengemeinschaft oder auf den Bestand gleichgerichteter Interessen und Neigungen, sie bedient sich vielmehr einer Gesamtschau des Einzelfalls, in die auch der Veranstaltungszweck - so etwa in Fällen der Förderung eigener oder fremder wirtschaftlicher Interessen - einbezogen wird


Schlagworte: Urheberrecht, Öffentlichkeit
Gesetze:

§ 18 UrhG

GZ 4 Ob 131/08f, 23.09.2008

OGH: Die Auslegung des Begriffs der Öffentlichkeit ist für alle Verwertungsrechte - abgesehen vom Vervielfältigungsrecht - von grundlegender Bedeutung. Sie grenzt die Interessen des Urhebers von jenen der Allgemeinheit ab; denn nur eine Verwertungshandlung, mit der ein Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist urheberrechtlich relevant.

Der Öffentlichkeitsbegriff kann in unterschiedlichen Sachzusammenhängen - so etwa in solchen nach dem Straf-, Fernmelde- oder Urheberrecht - Verschiedenes bedeuten. Selbst bei dessen Verwendung innerhalb des UrhG muss er - eingebettet in verschiedene Sachzusammenhänge - nicht notwendig immer inhaltlich Gleiches ausdrücken. Der Bedeutungsgehalt wird vielmehr durch den jeweiligen Normzweck bestimmt.

Im UrhG wird der Öffentlichkeitsbegriff nicht definiert. Auch in Gesetzesmaterialien werden nur Orte (Konzertsaal, Theater, Lichtspielbühne oder Gast- und Schankbetriebe) genannt, an denen typischerweise öffentliche Aufführungen stattfinden. Die Rechtsprechung bediente sich deshalb (auch) der Legaldefinition des § 15 Abs 3 dUrhG zur Auslegung des Öffentlichkeitsbegriffs: Danach ist eine Wiedergabe öffentlich, "wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist".

Persönliche Beziehungen im erörterten Sinn bestehen, wenn die Teilnehmer einer Aufführung dem engeren Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis angehören, wie im Fall von Personen, unter denen ein über berufliche oder gesellschaftliche Beziehungen hinausgehender, mehr oder weniger ständiger, vertrauter und inniger Kontakt herrscht. Berufs-, Arbeits-, Ausbildungs- oder Sportkollegen können durch solche persönliche Beziehungen verbunden sein; eine derartige Beziehungsintensität ist aber nicht von Vornherein anzunehmen. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen persönlicher Beziehungen einer für die Lösungen urheberrechtlicher Fragen relevanten Intensität hat derjenige, der sich darauf beruft.

Als Grundregel für die Qualifizierung einer Veranstaltung, die nicht ohnehin an einem öffentlich zugänglichen Ort stattfindet, als öffentlich, soll gelten, dass die Intensität der Beziehungen der Besucher untereinander und zum Veranstalter häufig umgekehrt proportional zur Zahl der Besucher sein wird. Daraus soll folgen, dass in einem "Koordinatensystem 'Intensität der Beziehungen/Zahl der Besucher' mit dem Wachsen der Besucherzahl die Öffentlichkeit erreicht" werde.

Die Rechtsprechung setzt für das Vorliegen von Öffentlichkeit weder eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern einer Veranstaltung als Grenze fest, noch beschränkt sie sich bei der Beurteilung bloß auf das Bestehen familiärer, verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehungen oder auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengemeinschaft oder auf den Bestand gleichgerichteter Interessen und Neigungen, sie bedient sich vielmehr einer Gesamtschau des Einzelfalls, in die auch der Veranstaltungszweck - so etwa in Fällen der Förderung eigener oder fremder wirtschaftlicher Interessen - einbezogen wird.

Die Frage nach der Öffentlichkeit einer Aufführung spielt bei allen Verwertungsrechten die entscheidende Rolle, weil eine Nutzung in der Privatsphäre des Nutzers grundsätzlich keine urheberrechtlichen Ansprüche auslöst. Insofern stellen die abgestuften Verwertungsrechte sicher, dass bei jedem Hinzutreten einer neuen Öffentlichkeit vom Urheber ein neues Verwertungsrecht in Anspruch genommen werden kann. Die dem Urheber durch das UrhG vorbehaltenen Verwertungsarten bilden ein Stufensystem zur mittelbaren Erfassung des Endverbrauchers. Der entgeltliche Erwerb des Vervielfältigungsstücks eines Werks verschafft deshalb dem Erwerber noch nicht das Recht, dieses Werk mit dessen Hilfe öffentlich aufzuführen.

Auf dem Boden der allgemeinen Abgrenzung der (urheberrechtlichen Verwertungsrechten verschlossenen) Privatsphäre von der Öffentlichkeit muss sich eine Verwertungshandlung, um öffentlich zu erfolgen, auf eine (unbestimmte) Personenmehrzahl beziehen. Das sei regelmäßig dann der Fall, wenn eine Aufführung allgemein zugänglich sei, also nicht von vornherein auf einen in sich geschlossenen, nach außen hin abgegrenzten Kreis abgestimmt sei. Dieser Ansicht liegt im Kern die Vorstellung zugrunde, dass zur Öffentlichkeit jeder gehöre, der nicht mit demjenigen, der ein Werk verwerte, oder mit den anderen Personen, denen das Werk wahrnehmbar oder zugänglich gemacht werde, durch - nicht zu vermutende - persönliche Beziehungen verbunden sei.