18.12.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Treuepflicht der Gesellschafter iZm Strafanzeige gegen einen Mitgesellschafter im Liquidationsstadium

Die Verletzung von Treuepflichten durch Gesellschafter im Liquidationsstadium einer Gesellschaft hat nicht mehr das gleiche Gewicht wie während der Geschäftstätigkeit einer werbenden Gesellschaft


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Gesellschaftsrecht, Treuepflicht, Strafanzeige, Liquidationsstadium
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 6 Ob 190/08x, 01.10.2008

Der Geschäftsführer der Beklagten hegte den Verdacht, aufgrund unrichtiger Informationen zum Verzicht auf einen Liquidationserlös verleitet worden zu sein, Die Beklagte erstattete Strafanzeige. Der Kläger stützt den von ihm erhobenen Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Mitgesellschafterin auf die seiner Ansicht nach verletzte, die Beklagte als Mitgesellschafterin der GmbH treffende Treuepflicht, welche die Strafanzeige/Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft rechtswidrig gemacht habe.

OGH: Der Gesellschaftsvertrag führt zu einer engen persönlichen Verbundenheit der Beteiligten. Die durch die Gesellschaft begründete Rechtsgemeinschaft beruht auf einem wechselseitigen Vertrauensverhältnis der Gesellschafter. Sie wird von einer Treuepflicht beherrscht, die auf den Grundsätzen des redlichen Verkehrs und auf Treu und Glauben beruht. Der allgemeine Treuegedanke beherrscht nicht nur die Beziehungen des Gesellschafters zur Gesellschaft, sondern auch jene der Gesellschafter untereinander; er fordert, dass jeder Gesellschafter auf die Interessen der anderen möglichst Rücksicht nimmt. Auch der Gesellschafter einer GmbH unterliegt daher der Treuepflicht, und zwar nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Mitgesellschaftern gegenüber. Ob die gesellschaftliche Treuepflicht eine bestimmte Handlungsweise gebietet, kann im Einzelfall nur aufgrund einer Interessensabwägung ermittelt werden. Der Inhalt der Treuebindung unter den Gesellschaftern besteht darin, dass auf gesellschaftliche Interessen anderer Mitbeteiligter Rücksicht genommen werden muss. Die Verletzung von Treuepflichten durch Gesellschafter im Liquidationsstadium einer Gesellschaft hat indessen nicht mehr das gleiche Gewicht wie während der Geschäftstätigkeit einer werbenden Gesellschaft.

Nach stRsp des OGH hat jemand, der eine Strafanzeige erstattet, keine besondere Sorgfaltspflicht, die vorliegenden Verdachtsgründe auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen und deren Für und Wider selbst abzuwägen. Eine solche Pflicht widerspräche dem öffentlichen Interesse, den Behörden Kenntnis von strafbaren Handlungen zu verschaffen. Als Rechtfertigung einer Strafanzeige genügt daher das Vorliegen von - nicht bereits offenkundig widerlegten - Verdachtsgründen. Schon dann ist nicht anzunehmen, eine Strafanzeige sei wider besseres Wissen erstattet worden.

Hier sind die mitgliedschaftlichen Interessen der Gesellschafter einer bereits in Liquidation befindlichen GmbH abzuwägen, die nicht mehr auf den Unternehmenserfolg einer (werbenden) Gesellschaft gerichtet sind, sondern nur noch auf die - nach der Befriedigung von Gläubigeransprüchen - korrekte Aufteilung des restlichen Gesellschaftsvermögens unter den Gesellschaftern. Infolge abgeschwächter Treuepflichten im Liquidationsstadium einer Gesellschaft ist aus der allgemeinen Treuepflicht unter Gesellschaftern jedenfalls nicht abzuleiten, diese müssten im Interesse der übrigen Gesellschafter eine besondere Sorgfalt und Rücksichtnahme bei der Verfolgung ihrer Anteile am Liquidationserlös walten lassen.

Nach allen bisherigen Erwägungen mangelt es daher an einer Grundlage dafür, einem Gesellschafter bei Erstattung einer Strafanzeige gegen einen oder mehrere Mitgesellschafter im Liquidationsstadium der Gesellschaft besondere, über allgemeine Anforderungen hinausgehende Sorgfaltsanforderungen aufzuerlegen, wenn der Anzeiger aufgrund bestehender Verdachtsgründe eine strafgesetzwidrige Verkürzung seines Anspruchs auf Beteiligung am Liquidationserlös befürchtet.