20.08.2009 Wirtschaftsrecht

OGH: UWG - zur lauterkeitsrechtlichen Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch" - zur Zulässigkeit des Rechtsmittels an den OGH

Nimmt das Gericht zweiter Instanz eine unvertretbare Rechtsansicht an, so ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels an den OGH nicht bloß am Maßstab der "krassen Fehlbeurteilung" der Vertretbarkeitsfrage zu messen, sondern (auch) daran, ob die (zumindest implizite) Annahme der objektiven Rechtswidrigkeit von höchstgerichtlicher Rechtsprechung oder dem eindeutigen Gesetzeswortlaut gedeckt ist


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, unlautere Geschäftspraktik, Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch, Zulässigkeit des Rechtsmittels an den OGH
Gesetze:

§ 1 UWG, § 502 ZPO

GZ 4 Ob 40/09z, 09.06.2009

OGH: Die Klägerin stützt sich auf die Rechtsprechung zur lauterkeitsrechtlichen Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch". Danach ist ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen. Maßgebend für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden.

Für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses kommt es im vorliegenden Fall nicht auf das Vorliegen einer krassen Fehlbeurteilung der Vertretbarkeitsfrage durch das Gericht zweiter Instanz an. Zwar hat der Senat für die Beurteilung der Fallgruppe "Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch" - wie im Amtshaftungsrecht - zwei Prüfungsstufen unterschieden (4 Ob 118/08v): Schon auf der ersten - für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden - Stufe gehe es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten - für die Zulässigkeit der Anfechtung beim OGH hinzutretenden - Stufe sei sodann nicht maßgebend, ob das Berufungsgericht diese Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst habe.

Dies gilt allerdings nur dann uneingeschränkt, wenn das Gericht zweiter Instanz - wie in 4 Ob 118/08v - eine vertretbare Rechtsansicht angenommen hat. Denn in diesem Fall ist die "richtige" Auslegung der angeblich übertretenen Norm unerheblich; entscheidend ist allein, ob das Gericht zweiter Instanz die Vertretbarkeitsfrage in vertretbarer Weise beurteilt hatte. Das Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur "richtigen" Auslegung der angeblich übertretenen Norm schadet daher nicht; das Rechtsmittel an den OGH ist aus diesem Grund nur dann zulässig, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Vertretbarkeitsfrage überschritten hat. Das ist im Regelfall nur bei einer "krassen" Fehlbeurteilung anzunehmen.

Anders ist die Rechtslage, wenn das Gericht zweiter Instanz eine unvertretbare Rechtsansicht des Beklagten angenommen hat. Denn dies setzt zwingend voraus, dass der Beklagte jedenfalls objektiv gegen eine im konkreten Fall anwendbare Norm verstoßen hat; nur eine unrichtige Auslegung kann auch unvertretbar sein. Damit kommt es für die Entscheidung der zweiten Instanz bei Verneinung der Vertretbarkeit (auch) darauf an, ob das Verhalten des Beklagten objektiv rechtswidrig war. In Bezug auf die objektive Rechtswidrigkeit eines Verhaltens besteht - anders als bei der Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht - nicht von vornherein ein Ermessensspielraum des Gerichts zweiter Instanz, den der OGH zu respektieren hätte. Vielmehr liegt hier eine erhebliche Rechtsfrage schon dann vor, wenn einschlägige Rechtsprechung des OGH oder - bei einem behaupteten Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Normen - des VwGH fehlt und das Gesetz nicht selbst eine klare, dh eindeutige Regelung trifft. Nimmt das Gericht zweiter Instanz daher eine unvertretbare Rechtsansicht an, so ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittels an den OGH nicht bloß am Maßstab der "krassen Fehlbeurteilung" der Vertretbarkeitsfrage zu messen, sondern (auch) daran, ob die (zumindest implizite) Annahme der objektiven Rechtswidrigkeit von höchstgerichtlicher Rechtsprechung oder dem eindeutigen Gesetzeswortlaut gedeckt ist. Nur wenn das zutrifft, fällt die (weitere) Frage, ob die Auslegung durch den Beklagten (nicht nur objektiv unrichtig, sondern auch) unvertretbar war, in den Ermessensspielraum des Gerichts zweiter Instanz.