25.03.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Kann bereits ein einmaliges Werbeschreiben eine aggressive Geschäftspraktik iSd § 1a Abs 3 UWG iVm Z 26 Anhang UWG darstellen?

Der Tatbestand der Z 26 Anhang UWG kann auch durch Briefwerbung erfüllt werden; er setzt zumindest zwei Briefe im selben Zusammenhang an denselben Adressaten und (kumulativ) einen dem Werbenden erkennbaren (vorbeugend oder aus gegebenem Anlass erklärten) Widerspruch des Adressaten voraus


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, aggressive Geschäftspraktik, Anwerbung von Kunden, Briefwerbung, hartnäckig
Gesetze:

§ 1a UWG, Z 26 Anhang UWG

GZ 4 Ob 174/09f, 19.01.2010

Der Beklagte, er übt selbständig das Gewerbe der Beratung in Versicherungsangelegenheiten nach § 94 Z 77 GewO aus, bewirbt gegenüber ihm unbekannten potentiellen Neukunden, insbesondere gegenüber Personen, von denen er erfahren hat, dass sie vor kurzem einen Unfall hatten, seine berufliche Tätigkeit durch einen Musterbrief mit gleichlautendem Inhalt, der jeweils nur durch den Namen des Adressaten und das Datum des Unfalls individualisiert ist und dem eine Antwortkarte beiliegt.

OGH: Die Anwerbung von Kunden durch hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen ein solches Verhalten gesetzlich gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen, gilt gem § 1a Abs 3 UWG iVm Z 26 Anhang UWG jedenfalls als aggressive Geschäftspraktik. Auch Briefe - obwohl in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich genannt - sind geeignete Medien des Fernabsatzes nach Z 26 Anhang UWG.

Der Senat hält die undifferenzierte Beurteilung, schon ein einmaliges Werbeschreiben könne hartnäckig sein, für unzutreffend. Hartnäckigkeit nach der hier auszulegenden Bestimmung verlangt nach zutreffender herrschender Auffassung vielmehr eine zumindest wiederholte Anwerbung. Das hartnäckige Verhalten iSd Z 26 Anhang UWG muss im Übrigen gegenüber dem Adressaten des verwendeten Fernabsatz-Mediums gesetzt worden sein, der als Kunde Schutzobjekt der auszulegenden Bestimmung ist. Es ist daher methodisch verfehlt, wenn das Berufungsgericht die Hartnäckigkeit aus einem Verhalten des Beklagten gegenüber Dritten (hier: Anrufe bei Nachbarn oder sonstigen Informationsträgern) abzuleiten versucht, die nicht Adressaten der Werbung sind. Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass der Beklagte mit seinen Anrufen gegen § 107 TKG verstoße, übersieht er, dass diese Bestimmung nur Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers für unzulässig erklärt.

Der Tatbestand der Z 26 Anhang UWG erfordert im Übrigen kumulativ, dass das Ansprechen hartnäckig und unerwünscht erfolgt; von Letzterem kann hier keine Rede sein, weil der Adressat dem Beklagten weder vorbeugend ("Robinson-Liste") noch aus gegebenem Anlass eine weitere Kontaktaufnahme untersagt hat.

Eine Geschäftspraktik gilt gem § 1a Abs 1 UWG als aggressiv, wenn sie geeignet ist, die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Marktteilnehmers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung oder durch unzulässige Beeinflussung wesentlich zu beeinträchtigen und ihn dazu zu veranlassen, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Als Unlauterkeitselemente kommen ua die Ausnutzung von Unglückssituationen oder anderen Umständen von solcher Schwere in Betracht, die das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, wobei dies dem Handelnden bewusst sein muss.

Der nicht als Privatpost getarnte Brief enthält eine objektive Darstellung des (legalen) Tätigkeitsbereichs des Beklagten, für den er grundsätzlich werben darf. Darüber hinaus besteht für ein Unfallopfer grundsätzlich auch ein Informationsbedürfnis über die im Schreiben angebotenen Dienstleistungen des Beklagten. Auch war der zeitliche Abstand zwischen dem Unfallgeschehen und dem Zugang des Briefes ausreichend groß, dass der Beklagte davon ausgehen durfte, der Adressat werde eine allenfalls gegebene unfallbedingte Ausnahmesituation bereits überstanden haben. Dass der Adressat durch den Unfall in seinem Urteilsvermögen beeinträchtigt worden wäre, diese Beeinträchtigung im Zeitpunkt des Zugangs des Werbeschreibens noch angedauert und der Beklagte hievon Kenntnis gehabt habe, hat der Kläger nicht behauptet; solches ist aus den Umständen auch nicht ersichtlich. Damit kann aber von einem "Überrumpeln" des Adressaten durch den Werbebrief iSe lauterkeitswidrigen Angriffs auf die Entscheidungsfreiheit des Umworbenen in einer Notlage keine Rede sein.

Das vom klagenden Verein beanstandete Schreiben des Beklagten ist somit keine aggressive Geschäftspraktik iSd § 1a UWG, weil es nicht geeignet ist, die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Adressaten, sich für oder gegen eine Kontaktaufnahme mit dem Beklagten zu entscheiden, wesentlich zu beeinträchtigen.