20.05.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied durch den Aufsichtsrat aus wichtigen Gründen - Entziehung des Vertrauens durch die Hauptversammlung und offenbar unsachliche Gründe iSd § 75 Abs 4 AktG

Ein "offenbar unsachlicher" Grund liegt auch dann nicht vor, wenn zwar objektiv keine grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung vorliegt, die Hauptversammlung aber bereits wegen nicht von vornherein als unberechtigt erkennbarer Verdachtsmomente das Risiko nicht eingehen will, die betreffende Person weiter mit einer Vorstandsfunktion zu betrauen


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, Aktienrecht, Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied durch Aufsichtsrat, wichtige Gründe, Entziehung des Vertrauens durch Hauptversammlung, offenbar unsachliche Gründe
Gesetze:

§ 75 Abs 4 AktG

GZ 1 Ob 190/09m, 29.01.2010

OGH: § 75 Abs 4 AktG ermöglicht den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied durch den Aufsichtsrat aus wichtigen Gründen. Nach Satz 2 der genannten Bestimmung ist ein solcher Grund namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Entziehung des Vertrauens durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist.

Ein solcher "offenbar unsachlicher" Grund liegt auch dann nicht vor, wenn zwar - wie hier - objektiv keine grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung vorliegt, die Hauptversammlung aber bereits wegen nicht von vornherein als unberechtigt erkennbarer Verdachtsmomente das Risiko nicht eingehen will, die betreffende Person weiter mit einer Vorstandsfunktion zu betrauen. Von einer "offenbar" unsachlichen Motivation kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn ein Vertrauensentzug seiner sachlichen Berechtigung nach etwa auch zweifelhaft ist; er darf nur nicht willkürlich sein. Unsachlich ist der Vertrauensentzug dann, wenn er nur ein Vorwand für die willkürliche Zurücksetzung des Vorstandsmitglieds ist, dessen Geschäftsführung so geartet ist, dass die Hauptversammlung ihr Vertrauen zu ihm in Wahrheit gar nicht verloren haben konnte, oder wenn der Vertrauensentzug nur zum Vorwand der Abberufung dient oder willkürlich, haltlos oder wegen der damit verfolgten Zwecke sittenwidrig oder sonstwie, etwa wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben, rechtswidrig ist.

Eine solche Situation liegt nicht vor, war doch insbesondere ein umfangreiches Beweisverfahren erforderlich, um zu klären, ob und inwieweit bestimmte Geschäftsführungshandlungen des Klägers iZm den überprüften Geschäftsfällen wirklich bedenklich waren oder nur auf den ersten Blick bedenklich erschienen. Das Vorliegen unsachlicher Motive wäre auch vom Kläger zu beweisen gewesen, was ihm nicht gelungen ist.