03.06.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Staatliche Beihilfen - Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 Satz 3 AEUV als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG?

Nach österreichischem Recht ist der eine Förderung fremden Wettbewerbs bewirkende Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 AEUV eine sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG; auf die Vertretbarkeit der dem Verstoß zugrunde liegenden Rechtsansicht kommt es dabei nicht an


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, EU-Recht, staatliche Beihilfen, sonstige unlautere Handlung, Vertretbarkeit
Gesetze:

§ 1 Abs 1 Z 1 UWG, Art 87 - 89 EGV, Art 107 - 109 AEUV

GZ 4 Ob 154/09i, 19.01.2010

Die Beklagte ist eine GmbH, an der über eine Holdinggesellschaft ausschließlich das Land Oberösterreich beteiligt ist. Sie ist Eigentümerin des zum Verkauf stehenden "Landesforstreviers L*****", an dessen Erwerb auch die Kläger interessiert sind.

OGH: Ein Verstoß gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 Satz 3 AEUV (früher Art 88 Abs 3 Satz 3 EG) kann Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern nach § 1 UWG begründen.

Auf die unmittelbare Wirkung von Art 108 Abs 3 AEUV kann sich jedenfalls ein Mitbewerber des Beihilfenempfängers berufen, der von der durch die Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverfälschung betroffen ist. Das sind im hier zu beurteilenden Fall - bei Vorliegen einer Beihilfe iSv Art 107 Abs 1 AEUV - jedenfalls die Kläger, die nicht nur selbst Land- und Forstwirte sind und damit im Wettbewerb mit den Mitgliedern der regionalen Bietergemeinschaft stehen, sondern ebenfalls ein Interesse am Erwerb des Forstreviers haben. Dadurch ist zumindest ein Ad-hoc-Wettbewerbsverhältnis begründet. Auch wenn keine Verpflichtung der Beklagten besteht, das Forstrevier überhaupt zu veräußern, ist doch offenkundig, dass die Kläger einen Wettbewerbsnachteil erleiden, wenn die Beklagte das Revier zu einem nicht marktkonformen Preis an Mitbewerber verkauft. Ein solcher Verkauf wäre nicht anders zu werten als eine Direktsubvention in Höhe der Differenz zwischen Verkehrswert und Kaufpreis, die selbstverständlich Auswirkungen auf die Stellung der Beteiligten im Wettbewerb hätte.

Das nationale Recht hat den Mitbewerbern daher nach dem Effektivitätsgrundsatz die Möglichkeit zu eröffnen, gegen die Gewährung einer unter das Durchführungsverbot fallenden Beihilfe vorzugehen. Dazu gehört insbesondere die Möglichkeit, die Auszahlung der Beihilfe durch ein gerichtliches Verfahren zu verhindern. Dies folgt schon aus einem Größenschluss zu jenen Entscheidungen, die einen bei den Gerichten der Mitgliedstaaten durchzusetzenden Anspruch des Mitbewerbers auf Rückzahlung der Beihilfe an den Subventionsgeber vorsehen: wenn ein Mitbewerber sogar die Rückzahlung durchsetzen kann, dann muss er um so mehr die Möglichkeit haben, die Auszahlung zu verhindern.

Es ist unstrittig, dass ein Verstoß gegen das beihilfenrechtliche Durchführungsverbot grundsätzlich unter den Rechtsbruchtatbestand des § 1 UWG fällt. Fraglich kann daher nur sein, ob lauterkeitsrechtliche Ansprüche auch in dieser Fallgestaltung nur dann bestehen, wenn die dem Verstoß zugrunde liegende Rechtsansicht unvertretbar ist.

Ein Verstoß gegen eine generelle Norm ist nach der Rsp des Senats grundsätzlich (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG in der Fassung der UWG-Novelle 2007 zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Nicht maßgebend ist die Vertretbarkeit der Rechtsansicht jedoch für Verstöße gegen speziellere Normen des UWG, insbesondere durch Anwendung einer nach dessen Anhang jedenfalls unzulässigen Geschäftspraktik. Ausdrücklich offen ließ der Senat bisher die Frage, ob es auch außerhalb des UWG Normen mit spezifisch lauterkeitsrechtlichem Charakter gebe und wie deren Verletzung gegebenenfalls zu behandeln wäre.

Für Verstöße gegen das Kartellrecht hat der Senat am Vertretbarkeitsstandard festgehalten. Das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 AEUV dient dem Schutz der Mitbewerber gegen Eingriffe des Staates in den Leistungswettbewerb. Insofern liegt wie beim Kartellrecht eine zumindest teilweise Übereinstimmung mit den Regelungszwecken des Lauterkeitsrechts vor. Weiters hat schon der Normgeber eine klare Verhaltenspflicht statuiert und so die wettbewerbsrechtliche Abwägung der einander widerstreitenden Interessen vorgenommen. Anders als im Kartellrecht steht aber bei einer Beihilfengewährung im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung kein besonderes Verfahren zur Verfügung, mit dem Mitbewerber ihre Ansprüche geltend machen könnten. Unter diesen Umständen verstieße es gegen den gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, wenn man für das Bestehen von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen eine unvertretbare Rechtsansicht des Beklagten forderte. Denn damit würde Mitbewerbern die Verfolgung von Ansprüchen erheblich erschwert. Die Anmeldung einer Beihilfe wird nämlich - wie auch das vorliegende Verfahren zeigt - idR nur dann unterbleiben, wenn die gewährende Stelle, wenngleich möglicherweise erst nach bemühter Suche, eine allenfalls vertretbare Begründung dafür findet. Gerade in solchen Grenzfällen ist es aber Aufgabe der nationalen Gerichte, über die ausschließliche Kompetenz der Kommission für die Beurteilung der Frage zu wachen, ob eine unzulässige Beihilfe iSv Art 107 Abs 1 AEUV vorliegt.

Aufgrund dieser Erwägungen hat der Senat schon in der Entscheidung 4 Ob 133/08z (Bank Burgenland) die Vertretbarkeit der dort strittigen Beihilfengewährung nicht gesondert geprüft. Daran ist festzuhalten. Der lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch besteht daher schon dann, wenn die belangte Stelle objektiv gegen das Durchführungsverbot nach Art 108 Abs 3 AEUV verstoßen hat (Wiederholungsgefahr) oder zu verstoßen droht (Erstbegehungsgefahr); auf die Vertretbarkeit der diesem Verhalten zugrunde liegenden Rechtsansicht kommt es nicht an. Ob das auch dann gilt, wenn das beanstandete Verhalten zugleich als Vergaberechtsverstoß zu werten ist, für dessen Ahndung ohnehin ein besonderes Verfahren zur Verfügung steht, kann hier offen bleiben. Das in § 1 Abs 1 Z 1 UWG enthaltene weitere Erfordernis einer nicht bloß unerheblichen Beeinflussung des Wettbewerbs wird bei einer unter Art 107 Abs 1 AEUV fallenden Beihilfe regelmäßig erfüllt sein.

Der beabsichtigte Verkauf ist nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens eine Beihilfe iSv Art 107 Abs 1 AEUV. Dieser Begriff erfasst nicht nur positive Leistungen, sondern alle Maßnahmen, die jene Belastungen verhindern, die ein Unternehmen sonst zu tragen hat. Darunter fällt insbesondere die Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen zu nicht marktkonformen Bedingungen, und zwar insbesondere die Veräußerung von Liegenschaften unter dem Marktpreis.

Nach der "Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfen bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand" kann der Verkauf von Liegenschaften entweder aufgrund eines bedingungsfreien Bietverfahrens oder aufgrund eines unabhängigen Wertgutachtens erfolgen. Im ersten Fall ergibt sich der eine Beihilfe ausschließende marktkonforme Preis durch das höchste Gebot; im zweiten durch die "unabhängige Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen". Dieser muss seine Aufgaben "unabhängig" ausüben, "öffentliche Stellen sind nicht berechtigt, hinsichtlich des Ermittlungsergebnisses Anweisungen zu erteilen". "Staatliche Bewertungsbüros, Beamte oder Angestellte" gelten solange als unabhängig, "wie eine unzulässige Einflussnahme auf ihre Feststellungen effektiv ausgeschlossen ist". Das Gutachten hat den Marktwert "auf der Grundlage allgemein anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards" zu ermitteln. Unter dem Marktwert ist jener Preis zu verstehen, "der zum Zeitpunkt der Bewertung aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages über Bauten oder Grundstücke zwischen einem verkaufswilligen Verkäufer und einem ihm nicht durch persönliche Beziehungen verbundenen Käufer unter den Voraussetzungen zu erzielen ist, wobei [richtig offenkundig: dass] das Grundstück offen am Markt angeboten wurde, die Marktverhältnisse einer ordnungsgemäßen Veräußerung nicht im Wege stehen und eine der Bedeutung des Objektes angemessene Verhandlungszeit zur Verfügung steht".

Der beabsichtigte Verkauf ist dem Land Oberösterreich zuzurechnen und damit eine "staatliche" Maßnahme iSv Art 107 Abs 1 AEUV. Damit Vergünstigungen als staatliche Beihilfen iSd Art 87 Abs 1 EG eingestuft werden können, müssen sie unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und dem Staat zuzurechnen sein. Letzteres folgt nicht allein daraus, dass die Maßnahme von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde, das vom Staat kontrolliert wird; maßgebend ist vielmehr, ob die Organe des Staates in irgendeiner Weise am Erlass dieser Maßnahme beteiligt waren.

Eine Beihilfe iSv Art 107 Abs 1 AEUV liegt allerdings nur vor, wenn die beanstandete Maßnahme geeignet ist, den Wettbewerb zu verfälschen und den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen.

Jede Zuwendung an ein Unternehmen verbessert dessen Stellung im Wettbewerb. Damit ist das Kriterium der zumindest drohenden Wettbewerbsverfälschung im Regelfall erfüllt.

Anders verhält es sich bei der Eignung der Maßnahme, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Zwar ist die Rechtsprechung des EuGH auch hier sehr restriktiv: Weder der geringe Umfang einer Beihilfe noch die geringe Größe eines begünstigten Unternehmens schließt von vornherein die potenzielle Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten aus. Bei einem lokal beschränkten Markt ist es allerdings denkbar, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist. Aus diesem Grund hätten die Kläger ein Vorbringen zur Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten erstatten müssen.