17.06.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: § 39 Abs 4 GmbHG - zur Frage, ob bei der Prüfung des Stimmverbots eines Gesellschafters iZm dem Abschluss eines Rechtsgeschäfts dessen Vorteile oder Nachteile für die Gesellschaft zu prüfen sind und zur Frage, ob das Stimmrechtsverbot eines Gesellschafters über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen ihn von der Art bzw Rechtsnatur des geltend zu machenden Anspruchs abhängig ist

Ein Gesellschafter ist bei einer Abstimmung, die ein mit ihm geschlossenes Rechtsgeschäft iSd § 39 Abs 4 GmbHG zum Gegenstand hat, vom Stimmrecht unabhängig davon ausgeschlossen ist, ob sich das betreffende Geschäft für die Gesellschaft vorteilhaft oder nachteilig auswirken kann; das Stimmverbot greift iZm Rechtsstreitigkeiten, anders als beim Abschluss von Rechtsgeschäften, in jedem Fall, also auch bei allen sozietär begründeten Rechtsstreitigkeiten; als Einleitung eines Rechtsstreits ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung verstehen, einschließlich unmittelbar vorgelagerter Aktionen wie die Bestellung eines Prozessvertreters


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, Gesellschafter, Stimmrechtsverbote, Insichgeschäft, Einleitung eines Rechtsstreites
Gesetze:

§ 39 Abs 4 GmbHG

GZ 6 Ob 169/09k, 19.03.2010

OGH: Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält keine Sonderregelungen für Stimmrechtsverbote. Die Beurteilung der strittigen Beschlüsse hat daher allein von § 39 Abs 4 GmbHG auszugehen, wonach ein Gesellschafter, der durch die Beschlussfassung von einer Verpflichtung befreit, oder dem ein Vorteil zugewendet werden soll, hiebei weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht hat, ebenso bei einer Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft.

Das GmbHG kennt bei Interessenkollisionen somit kein generelles Stimmverbot, § 39 Abs 4 GmbHG verwehrt dem betroffenen Gesellschafter das Stimmrecht nur in bestimmten Konfliktlagen. Es handelt sich - wie auch in der parallelen Bestimmung des § 114 Abs 5 AktG - um institutionell bedingte Interessenkonflikte, die es notwendig machen, sich im Interesse der Richtigkeitsgewähr der Verbandswillensbildung nicht allein mit der Ausübungskontrolle unter Missbrauchsgesichtspunkten zu begnügen, sondern das Stimmrecht überhaupt auszuschließen.

Der Ausschluss betrifft im Kern zwei Fallgruppen, nämlich das Abstimmen über eigene Geschäfte mit der Gesellschaft, bei denen die Konfliktsituation des Insichgeschäfts vorliegt, und Fälle, in denen der Gesellschafter gleichsam als "Richter in eigener Sache” befangen wäre.

Geschäfte "mit” einem Gesellschafter iSd § 39 Abs 4 GmbHG sind nicht die aus dem Gesellschaftsverhältnis selbst entspringenden "Sozialakte”, für die ein Stimmrechtsausschluss weder nach dem Wortlaut der Bestimmung, noch nach dem Normzweck in Betracht kommt. Die Richtigkeitsgewähr von koorporativen Beschlüssen setzt gerade die Teilnahme aller Gesellschafter voraus, auch wenn sie unterschiedliche Interessen verfolgen mögen. Geschäfte "mit” einem Gesellschafter iSd § 39 Abs 4 GmbHG sind vielmehr Rechtsgeschäfte und -handlungen, mit denen keine Organisationsangelegenheiten der Gesellschaft selbst geregelt werden, sodass sie theoretisch auch mit einem außenstehenden Dritten geschlossen werden könnten und nicht von der Gesellschafterstellung des Vertragspartners abhängen.

Ein Gesellschafter ist bei einer Abstimmung, die ein mit ihm geschlossenes Rechtsgeschäft iSd § 39 Abs 4 GmbHG zum Gegenstand hat, vom Stimmrecht unabhängig davon ausgeschlossen, ob sich das betreffende Geschäft für die Gesellschaft vorteilhaft oder nachteilig auswirken kann. Diese abstrakte Betrachtung ist im Interesse der Rechtssicherheit unverzichtbar.

Keine anderen Überlegungen können für Beschlussfassungen iZm der Einleitung eines Rechtsstreits gegen den Gesellschafter gelten, wozu alle Arten von auch vorbereitenden Rechtsverfolgungshandlungen zu zählen sind. Als Einleitung eines Rechtsstreits ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung zu verstehen, einschließlich unmittelbar vorgelagerter Aktionen wie der Bestellung eines Prozessvertreters. Ob auch schon die Einleitung außergerichtlicher Schritte, insbesondere eine Weisung an den Geschäftsführer, einen Anspruch geltend zu machen, unter § 39 Abs 4 GmbHG fällt, ist in der Literatur nicht unstrittig, kann aber hier dahingestellt bleiben. Die im Anlassfall zu beurteilende Erteilung einer Weisung an die Geschäftsführerin, aus einem bereits existierenden Vertrag gerichtliche Schritte zur Durchsetzung bestrittener Ansprüche einzuleiten, fällt geradezu wörtlich unter die Regelung des § 39 Abs 4 GmbHG. Für die Anwendbarkeit des Stimmrechtsverbots ist es weder erforderlich, dass der angestrebte Prozess mit einer Sanktion gegen den Gesellschafter zu tun hat, noch kann es auf dieser Entscheidungsebene für die Zulassung zur Abstimmung auf eine Günstigkeitsprognose ankommen. Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses, mit dem zum eindeutigen Nachteil der Gesellschaft eine objektiv aussichtslose Klagsführung eingeleitet werden soll, wäre allenfalls auf der nächsten Ebene unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs und der Verletzung der Treuepflicht der Minderheitsgesellschafter zu prüfen.

Nach herrschender Ansicht greift das Stimmverbot iZm Rechtsstreitigkeiten, anders als beim Abschluss von Rechtsgeschäften, in jedem Fall, also auch bei allen sozietär begründeten Rechtsstreitigkeiten, wie zB Haftungsansprüchen gegen Organe, Anfechtungsklagen oder Ausschlussklagen. Der gesellschaftsrechtliche Willensbildungsprozess, der alle Gesellschafter einschließen muss, schafft nur die Anspruchsgrundlage. Die davon zu trennende Frage, ob und wie der Anspruch der Gesellschaft in einem Rechtsstreit verfolgt werden soll, fällt unter dem Aspekt des Insichgeschäfts, aber auch des "Richtens in eigener Sache" unter das Stimmrechtsverbot.