29.07.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Nichtbekanntgabe / Bekanntgabe unmittelbar vor Mitgliederversammlung von bedeutsamen und weittragenden Tagesordnungspunkten - Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Vereinsbeschlüssen gem § 7 VerG?

Jedenfalls von bedeutsamen und weittragenden Tagesordnungspunkten - wie beispielsweise von beabsichtigten maßgeblichen Satzungsänderungen oder von der geplanten Auflösung des Vereins - müssen die Mitglieder schon aus elementaren Gründen der Vereinsdemokratie so rechtzeitig vor dem Zusammentritt der Mitgliederversammlung informiert werden, dass genügend Zeit zu einer sachgerechten Vorbereitung bleibt; bei einem bloßen Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte wird ein Nichtigkeit begründender, schwerwiegender Einberufungsmangel idR nicht vorliegen, setzt ein solcher doch voraus, dass nur mehr von einem "Zerrbild einer Beschlussfassung" gesprochen werden könnte


Schlagworte: Vereinsrecht, Mitgliederversammlung, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Vereinsbeschlüssen, Nichtbekanntgabe (bzw Bekanntgabe unmittelbar vor der Mitgliederversammlung) von bedeutsamen und weittragenden Tagesordnungspunkten
Gesetze:

§ 7 VerG, § 5 VerG

GZ 1 Ob 32/10b, 20.04.2010

OGH: Das VerG 2002 enthält keine ausdrückliche Regelung, wonach die Einladung für eine Vereinsversammlung die Bekanntgabe einer Tagesordnung unbedingt enthalten müsste. Die Fragen, ob und inwieweit die Tagesordnung im Voraus bekannt gegeben sein muss und unter welchen Umständen zusätzliche Angelegenheiten auch noch unmittelbar vor oder während der Sitzung auf die Tagesordnung gesetzt werden dürfen, kann in den Statuten geregelt werden. Jedenfalls von bedeutsamen und weittragenden Tagesordnungspunkten - wie beispielsweise von beabsichtigten maßgeblichen Satzungsänderungen oder von der geplanten Auflösung des Vereins - müssen die Mitglieder schon aus elementaren Gründen der Vereinsdemokratie aber so rechtzeitig vor dem Zusammentritt der Mitgliederversammlung informiert werden, dass genügend Zeit zu einer sachgerechten Vorbereitung bleibt. Andernfalls bliebe der für die Beschlussfassung einer Personenmehrheit ganz allgemein geltende Grundsatz unbeachtet, nach dem allen zur Mitwirkung an der Willensbildung berufenen Personen die Tatsache der beabsichtigten Beschlussfassung rechtzeitig mitgeteilt und ihnen auch Gelegenheit zur sachlichen Stellungnahme gegeben werden muss.

Selbst dann, wenn die Satzung keine vorherige Anhörung eines betroffenen Mitglieds vorsieht, muss diesem - etwa im Falle eines Ausschlusses - Gelegenheit gegeben werden, sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall liegt ein wesentlicher Eingriff in die bisherigen Organisationsstrukturen va deshalb vor, weil das Quorum für künftige Satzungsänderungen von 2/3 der in der Generalversammlung anwesenden Mitglieder auf 2/3 aller Vereinsmitglieder erhöht wurde, wodurch die Statuten ungleich schwerer abänderbar sind als zuvor; weiters wurde die Zahl der Vorstandsmitglieder reduziert. Trotz dieser maßgeblichen Neuerungen erfolgte die Abstimmung darüber in der außerordentlichen Generalversammlung, ohne dass die Vereinsmitglieder von den geplanten Änderungen zuvor rechtzeitig informiert wurden. Allen der Einladung zur außerordentlichen Generalversammlung nicht Folge leistenden Mitgliedern war damit nicht nur das Recht zur Stellungnahme, sondern auch die Mitwirkung an der Willensbildung verwehrt. Möglicherweise hätten der Kläger und andere Mitglieder, die der außerordentlichen Generalversammlung fernblieben, daran teilgenommen, wenn sie gewusst hätten, dass nicht nur über die angekündigten Tagesordnungspunkte abgestimmt werden sollte, sondern auch eine Beschlussfassung über andere Punkte (Satzungsänderung) beabsichtigt war.

Zu prüfen ist, welche Konsequenzen sich im vorliegenden Fall aus der Nichtbekanntgabe von Tagesordnungspunkten ergeben:

§ 7 VerG unterscheidet zwischen vorerst gültigen, aber anfechtbaren Beschlüssen und von Anfang an nicht gültig zustande gekommenen und daher rechtsunwirksamen ("nichtigen") Beschlüssen. Beschlüsse von Vereinsorganen sollen nur mehr dann nichtig sein, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse sollen gültig bleiben, sofern sie nicht binnen einem Jahr ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. § 7 VerG orientiert sich bei der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit an den §§ 195 ff AktG, nach denen Fehlerhaftigkeiten der Hauptversammlungsbeschlüsse einer AG (und hiezu erforderlicher Sonderbeschlüsse) in Nichtigkeits- und in Anfechtungsgründe einzuteilen sind. Details dieser Regelungen wurden in das VerG 2002 jedoch nicht übernommen. Vielmehr hat der Gesetzgeber der Rsp die - nicht immer einfache - Differenzierung überlassen, wann Nichtigkeit eines Beschlusses eines Vereinsorgans vorliegt oder dessen (bloße) Anfechtbarkeit gegeben ist. Grundsätzlich hat sich die Nichtigkeit auf gravierende Fälle fehlerhafter Beschlüsse zu beschränken. Es müssen derartig klare Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt ist.

Bei der Abgrenzung, ob aus dem Mangel ein Nichtigkeitsgrund oder eine Anfechtbarkeit resultiert, ergibt sich aus den Wertungen des AktG (§§ 195 ff) Folgendes:

Nach § 196 Abs 1 Z 2 AktG idF vor dem AktRÄG 2009 (nunmehr § 196 Abs 1 Z 2 lit c AktG) ist jeder in der Hauptversammlung nicht erschienene Aktionär zur Anfechtung ua dann berechtigt, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung nicht gehörig angekündigt worden ist. Hauptversammlungsbeschlüsse, die unter Verletzung der Ankündigungsvorschriften gefasst werden, sind somit nicht nichtig, sondern (bloß) anfechtbar. Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses liegt nur vor, wenn die im § 199 Abs 1 AktG angeführten Gründe gegeben sind, insbesondere wenn er - was hier (analog) von Bedeutung ist - mit dem Wesen der AG unvereinbar ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt werden, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, bzw wenn er durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt (§ 199 Abs 1 Z 3 und 4 AktG, die durch das AktRÄG 2009, BGBl I 2009/71, nicht verändert wurden). Da die Fälle der Nichtigkeit im Gesetz erschöpfend aufgezählt sind, besteht in allen anderen Fällen nur Anfechtbarkeit, sofern die Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Auch der weite Wortlaut des § 41 GmbHG spricht für die Ansicht, dass sowohl Einberufungsmängel als auch Ankündigungsmängel (etwa infolge mangelhafter Spezifizierung der Tagesordnungspunkte) den Gesellschafterbeschluss nur anfechtbar, nicht aber von Anfang an unwirksam machen.

Anerkennt man eine grundsätzliche Orientierung des § 7 VerG am Kapitalgesellschaftsrecht und führt die Verletzung von Ankündigungsvorschriften im Gesellschaftsrecht nicht zur absoluten Nichtigkeit dennoch ergangener Beschlüsse, liegt nahe, auch die Nichtigkeit jener Mitgliederbeschlüsse nach dem VerG zu verneinen, die gefasst wurden, ohne dass ihr Gegenstand allen Mitgliedern zuvor rechtzeitig bekannt gegeben worden war. Zu beachten ist aber, dass das VerG - zum Unterschied von § 199 Abs 1 Z 4 AktG - keine Beschränkung auf eine inhaltliche Sittenwidrigkeit des Beschlusses eines Vereinsorgans enthält. Beschlüsse können daher auch wegen der Art ihres Zustandekommens gegen die guten Sitten verstoßen und aus diesen Gründen nichtig sein. So wurde schon nach der bisherigen Rsp die Nichteinladung etwa der Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder zur Mitgliederversammlung als besonders schwerer Verstoß gegen die tragenden Grundsätze des Verbandsrechts und damit als (absoluter) Nichtigkeitsgrund gewertet. Um dem vom Gesetzgeber mit der Einführung anfechtbarer Beschlüsse im Vereinsrecht verfolgten Zweck zu entsprechen, ist jedoch ganz generell eine Einschränkung dahin zu machen, dass nicht jedwede Art von Einberufungsmängeln stets zu nichtigen Beschlüssen eines Vereinsorgans führt; gerade im Bereich der Verfahrensvorschriften ist eine Differenzierung geboten. Bei einem bloßen Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte wird ein Nichtigkeit begründender, schwerwiegender Einberufungsmangel idR nicht vorliegen, setzt ein solcher doch voraus, dass nur mehr von einem "Zerrbild einer Beschlussfassung" gesprochen werden könnte. Grundsätzlich ist eine Sittenwidrigkeit dann zu verneinen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Mitgliederversammlung das vom zuständigen Vereinsorgan einberufene und für die Fassung der angefochtenen Beschlüsse zuständige Vereinsorgan war und die Mitglieder zur Versammlung geladen waren. Auch in der Literatur zum VerG 2002 wird die Verletzung von Formvorschriften (wie Nichteinhaltung der Tagesordnung, Vernachlässigung der erforderlichen Anwesenheit oder Mehrheit etc) einhellig dahin beurteilt, dass bloße Anfechtbarkeit gegeben ist. Dieses Ergebnis entspricht zudem der Intention des Gesetzgebers, im Vereinsrecht durch die Einführung der Anfechtbarkeit von Beschlüssen vermehrte Rechtssicherheit zu schaffen. Der Umstand, dass die Satzungsänderung nicht angekündigt war, bewirkt demnach die Anfechtbarkeit des dennoch gefassten, satzungsändernden Beschlusses und der auf Grundlage der Satzungsänderung durchgeführten Neuwahl des Vorstands.

Zum Unterschied von Nichtigkeitsgründen, die eine gültige Verbandswillensbildung von vornherein verhindern, hindert ein Anfechtungsgrund die Gültigkeit eines Beschlusses nicht. Er kann mit einer innerhalb eines Jahres ab Beschlussfassung eingebrachten Klage mit der Wirkung angefochten werden, dass die bisherige Geltung des Beschlusses ex tunc beseitigt wird.