05.08.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Voraussetzungen der Anordnung einer Hausdurchsuchung gem § 12 Abs 1 und 3 WettbG und Vorliegen eines begründeten Verdachts

Bloße Spekulationen reichen ebenso wie offensichtlich unbegründete oder zu vage gehaltene Verdachtsmomente nicht aus; es müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen die im Gesetz genannten Wettbewerbsbestimmungen vorliegt; der begründete Verdacht muss sich grundsätzlich nicht gegen die Person richten, in deren Räumlichkeiten die Hausdurchsuchung anzuordnen ist


Schlagworte: Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Bundeswettbewerbsbehörde, Anordnung einer Hausdurchsuchung, begründeter Verdacht
Gesetze:

§ 12 WettbG

GZ 16 Ok 2/10, 19.04.2010

Die Bundeswettbewerbsbehörde macht geltend, dass die subjektive Tatbildverwirklichung für den begründeten Verdacht als Voraussetzung für die Anordnung einer Hausdurchsuchung nach § 12 Abs 1 WettbG nicht notwendig sei. Es genüge, dass die Antragsgegnerin objektiv einen Beitrag zur Verschleierung der Kartellverstöße geleistet habe.

OGH: Nach innerstaatlichem Recht (§ 12 WettbG) hat das Kartellgericht, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde bei Vorliegen eines begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen §§ 1, 5 oder 17 KartG oder Art 81 oder 82 EG (nunmehr Art 101, 102 AEUV) eine Hausdurchsuchung anzuordnen.

Begründet ist ein Verdacht dann, wenn er sich begründen, also rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen die im Gesetz genannten Wettbewerbsbestimmungen vorliegt. Der begründete Verdacht einer Zuwiderhandlung gegen die im Gesetz genannten wettbewerbsrechtlichen Vorschriften muss sich grundsätzlich nicht gegen die Person richten, in deren Räumlichkeiten die Hausdurchsuchung anzuordnen ist. Insoweit kann es daher nicht auf die subjektive Tatseite dieser Person ankommen.

Davon zu unterscheiden ist, dass der begründete Verdacht eines bestimmten Wettbewerbsverstoßes eines oder mehrerer Unternehmen vorhanden sein muss. Der Verstoß gegen das Kartellverbot setzt seinerseits eine Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen voraus, worunter jede Form der Koordinierung des Verhaltens zwischen Unternehmen zu verstehen ist, die nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, aber bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Dafür ist ein subjektives Element und nicht nur ein rein objektives Tatgeschehen notwendig.

Insoweit müssen die subjektiven Voraussetzungen auch bei der Willensäußerung des Mittäters/Gehilfen erfüllt sein.

Näheres zum Inhalt bzw den Voraussetzungen der Anordnung einer Hausdurchsuchung enthält das WettbG nicht. In der korrespondierenden Bestimmung für Nachprüfungsbefugnisse der Europäischen Kommission, Art 20 der VO (EG) 1/2003, werden die Inhaltserfordernisse eines solchen Auftrags dahin geregelt, dass Gegenstand und Zweck der Nachprüfung bezeichnet werden müssen. Es sind ein Anfangsverdacht sowie die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme notwendig. Für das Bestehen eines Anfangsverdachts müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Bloße Spekulationen reichen ebenso wie offensichtlich unbegründete oder zu vage gehaltene Verdachtsmomente nicht aus. In der Praxis wird der erforderliche Anfangsverdacht zumeist auf formelle oder informelle Beschwerden oder Informationen zB aufgrund der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelungen gestützt.

Gegenstand und Zweck der Nachprüfung sind anzugeben, um das betroffene Unternehmen in die Lage zu versetzen, die Berechtigung der Nachprüfung nachzuvollziehen, ihre Mitwirkungspflicht zu erkennen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zur Wahrung ihrer Verteidigungsrechte zu ergreifen. Der Prüfungsauftrag bzw die Prüfungsentscheidung muss möglichst genau angeben, wonach gesucht wird und auf welche Punkte sich die Nachprüfung bezieht. Es muss zwar der Informationsstand nicht vollständig offen gelegt werden, es muss aber unmissverständlich klar gemacht werden, welchen Vermutungen nachgegangen werden soll. Eine ausforschende Nachprüfung ("fishing expedition") ist unzulässig.

Da auch nach Informationsquellen gesucht werden darf, die noch nicht bekannt sind, besteht aber keine Verpflichtung, bestimmte Unterlagen, auf die sich die Nachprüfung beziehen soll, in der Entscheidung zu benennen.

Grundsätzlich können auch Mittätern und/oder Gehilfen einer Gesamtzuwiderhandlung gegen Art 81 Abs 1 EG die Zuwiderhandlungen der jeweils anderen beteiligten Unternehmen zugerechnet werden, wenn die entsprechenden objektiven und subjektiven Zurechenbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies wurde im Fall einer Unternehmensberatung bejaht, die in voller Kenntnis der Umstände vorsätzlich Fachwissen für die Erreichung kartellrechtswidriger Zwecke zur Verfügung gestellt hatte und sich damit zumindest indirekt im Rahmen der Durchsetzung ihrer individuellen Dienstleistungsverträge am wettbewerbs- und rechtswidrigen Ziel des Kartells beteiligt hatte.

Im vorliegenden Fall wird der Tatverdacht nicht auf organisatorische Hilfestellung und Beratungstätigkeit iZm der eigentlichen Kartellabsprache gestützt, sondern darauf, dass ein Beitrag zur Stabilisierung des Kartells geleistet worden sei, indem die Zahlungsströme und Verbindungen zwischen dem oder den kartellbeteiligten Unternehmen und der kartellbuchhaltenden Stelle vertuscht worden seien. Dieser Verdacht stützt sich auf die Honorarnoten, die weder einen Hinweis auf den vertretenen Mandanten noch darauf enthalten, dass die Antragsgegnerin die Leistungen beauftragt und in Anspruch genommen hätte. Dennoch wurden die dafür verrechneten rund 2.000 bis 4.000 CHF offenbar anstandslos und ohne Rückfrage beim Rechnungsleger bezahlt.

Bei dieser Sachlage muss vernünftigerweise vorausgesetzt werden, dass die Antragsgegnerin diese Honorarnoten zuordnen bzw weiterverrechnen konnte und daher über Informationen bzw Aufträge in diese Richtung verfügte. Damit besteht aber ein begründeter, rational nachvollziehbarer Verdacht, dass die Antragsgegnerin von den kartellrechtswidrigen Vorgängen zumindest in Grundzügen informiert war und daher auch ihren Beitrag erkennen konnte und billigte.

Dass es für die Handlungsweise der Antragsgegnerin möglicherweise auch andere Erklärungen gibt, entkräftet diese Verdachtslage nicht. Der Ausschluss anderer Erklärungen würde vielmehr bereits den Beweis der (Mit-)Täterschaft bedeuten.

Ob eine Hausdurchsuchung auch ohne diese Verdachtslage gegen die Antragsgegnerin selbst anzuordnen wäre, um die Verdachtslage gegen die unmittelbaren Kartellmitglieder weiter zu klären, muss daher nicht weiter geprüft werden. Die Frage allfälliger Wahrung von Berufsgeheimnissen muss schon deshalb nicht erörtert werden, weil sich das Verfahren des Bundeskartellamts auch gegen die Antragsgegnerin richtet.

Dass die Hausdurchsuchung zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, ergibt sich aus der konkreten Verdachtslage, weil Unterlagen bei der Antragsgegnerin vorhanden sein könnten, die nähere Aufklärung bzw Beweise für das Kartell und den Wissensstand der Antragsgegnerin davon erbringen könnten. An der Verhältnismäßigkeit bestehen bereits im Hinblick auf den Umfang und das zeitliche Ausmaß des vermuteten Kartells keine Bedenken.