28.10.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein "faktischer Geschäftsführer" die GmbH wirksam organschaftlich vertreten kann

Dem "faktischen Geschäftsführer", mag er Gesellschafter oder Nichtgesellschafter sein, kommt keine Befugnis zu, die GmbH im rechtsgeschäftlichen Verkehr organschaftlich zu vertreten; die Beurteilung seiner Vertretungsbefugnis hat ausschließlich nach vollmachtsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, GmbH, faktischer Geschäftsführer, organschaftliche Vertretung, Vollmacht, Anscheinsvollmacht
Gesetze:

§ 18 GmbHG, § 15 GmbHG, § 28 GmbHG, §§ 1002 ff ABGB, § 1029 ABGB

GZ 2 Ob 238/09b, 15.09.2010

Die beklagte Partei macht geltend, dass die Rechtshandlungen des "faktischen Geschäftsführers" der von ihm vertretenen GmbH ohne weiteres zurechenbar seien. Falls dies nicht zutreffen sollte, sei von einer Bevollmächtigung durch die bestellte Geschäftsführerin, zumindest aber vom Vorliegen einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht auszugehen. Die bestellte Geschäftsführerin habe das Auftreten des "faktischen Geschäftsführers" für die GmbH stets geduldet, sodass die beklagte Partei auf dessen Vertretungsbefugnis habe vertrauen dürfen.

OGH: Die gesetzliche Regelung für die Vertretung einer GmbH findet sich in § 18 Abs 1 GmbHG, wonach die Gesellschaft "durch die Geschäftsführer" gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird. Die Geschäftsführer erlangen ihre körperschaftsrechtliche Funktion als vertretungsbefugte Organe durch ihre Bestellung, die entweder durch Beschluss der Gesellschafter oder - wenn Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden - im Gesellschaftsvertrag erfolgen kann (§ 15 Abs 1 GmbHG). Ihre Eintragung im Firmenbuch hat nur deklarative Bedeutung. Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ist ausschließlich; der einzelne Gesellschafter ist bloß aufgrund dieser Eigenschaft, also ohne zum Geschäftsführer bestellt oder bevollmächtigt zu sein, zur Vertretung der Gesellschaft - von Sonderkompetenzen abgesehen - nicht befugt.

Im Schrifttum wird der "faktische Geschäftsführer" zumeist als Person definiert, die das Unternehmen leitet, ohne wirksam zum Geschäftsführer bestellt worden zu sein. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der "faktische Geschäftsführer" gleichzeitig auch Gesellschafter ist. Als Beispiel für einen "faktischen Geschäftsführer" wird häufig der Fall genannt, dass die eigentlich bestellten Geschäftsführer als Strohmänner ihre Organfunktionen nicht ausüben und stattdessen ein anderer (meist ein Mehrheitsgesellschafter) die Gesellschaft tatsächlich leitet, wobei zumeist auch ein nach außen erkennbares Gerieren wie ein Geschäftsführer als erforderlich erachtet wird.

In der Rsp des OGH, aber auch in der Lehre, hat die Rechtsfigur des "faktischen Geschäftsführers" vor allem iZm der Frage der deliktischen Haftung für seine Handlungen und Unterlassungen Bedeutung erlangt.

Davon zu unterscheiden ist jedoch die hier relevante Frage, ob die im rechtsgeschäftlichen Verkehr gesetzten Rechtshandlungen des "faktischen Geschäftsführers" der GmbH wie diejenigen eines organschaftlichen Vertreters zuzurechnen sind. Die diese Frage verneinende Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat die klare gesetzliche Regelung der Vertretung einer GmbH durch "die Geschäftsführer" für sich. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats verbleibt bei dieser Rechtslage für eine organschaftliche oder "quasi-organschaftliche" Vertretung durch den "faktischen Geschäftsführer" kein Raum. Die Annahme einer solchen Vertretungsbefugnis würde in jedem Einzelfall zu Abgrenzungsproblemen (ab welcher Intensität liegt "faktische Geschäftsführung" vor?) und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit im Geschäftsverkehr führen. Den Bedürfnissen der Praxis wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass die Zurechenbarkeit rechtsgeschäftlichen Handelns eines "faktischen Geschäftsführers" nach den Grundsätzen des Vollmachtsrechts gelöst werden kann.