11.11.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Käufer einen zivilrechtlichen Rückforderungsanspruch für den Fall besitzt, dass der Leistende und Rechnungsaussteller zunächst zu Unrecht Umsatzsteuer in einer Rechnung ausweist, die Rechnung aber nachträglich dahin berichtigt, dass er sie um den darin ausgewiesenen Steuerbetrag verringert

Hat der Leistungsempfänger bei Vertragsabschluss über die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs geirrt, liegt ein Irrtum über die Berechnung des Preises der Leistung, also ein Kalkulationsirrtum, vor, der beachtlich ist, wenn die Kalkulation offen gelegt und damit zum Geschäftsinhalt gemacht wurde; wird die Steuer in der Rechnung gesondert ausgewiesen, wird in aller Regel von einer Offenlegung der Preiskalkulation und somit von einem Geschäftsirrtum auszugehen sein, der unter den Voraussetzungen des § 871 ABGB zur Anfechtung oder Anpassung des Vertrags berechtigt; wurde der vereinbarte Kaufpreis infolge irrtumsrechtlicher Vertragsanpassung nachträglich um den darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrag vermindert, und hat der Leistungsempfänger den ursprünglichen Kaufpreis bereits gezahlt, führt dies zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch im Ausmaß der Überzahlung


Schlagworte: Bereicherungsrecht, Leistungskondiktion, irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld, Irrtumsanfechtung, Vertragsanpassung, Umsatzsteuer, Vorsteuer
Gesetze:

§ 1431 ABGB, § 871 ABGB

GZ 4 Ob 139/10k, 05.10.2010

OGH: Die in einer Rechnung über eine Lieferung oder sonstige Leistung gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer ist Teil des Kaufpreises. Führt ein Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung aus und stellt dafür ohne Missbrauchsabsicht irrtümlich einen Steuerbetrag in Rechnung, den er nicht schon aufgrund der Leistung schuldet (weil zB die Leistung steuerfrei ist), liegt steuerrechtlich ein überhöhter Steuerausweis vor. Im Fall einer solchen irrtümlichen Rechnungslegung kann der Unternehmer den unzutreffenden und unberechtigten Steuerausweis berichtigen. Hat der Leistungs- und Rechnungsempfänger den Kaufpreis schon vor Rechnungsberichtigung gezahlt, führt die Rechnungskorrektur zivilrechtlich zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch im Ausmaß der Überzahlung, sofern die Voraussetzungen einer irrtumsrechtlichen Vertragsanpassung (vom Vertragspartner veranlasster oder gemeinsamer Irrtum über eine offen gelegte und damit zum Geschäftsinhalt gemachte Kalkulation) vorliegen.

Ob eine rechtsgrundlose Bereicherung vorliegt, ist im Dreiecksverhältnis Lieferant/Leistungsempfänger/Finanzbehörde zu prüfen. Handelt es sich - wie hier - bei Lieferant und Leistungsempfänger um vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen, führt der Leistungsaustausch zwischen ihnen in Ansehung der Umsatzsteuer zu keiner Vermögensverschiebung und ist insoweit daher neutral: Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer wird vom Lieferanten beim Leistungsempfänger inkassiert und an die Finanzbehörde abgeführt, wo sie dem Leistungsempfänger als Vorsteuer angerechnet wird.

An dieser Beurteilung ändert sich im Regelfall auch nichts, wenn eine nachträgliche Rechnungsberichtigung (Reduktion um den Steuerbetrag) erfolgt: Diesfalls erhält der Lieferant für die schon abgeführte Umsatzsteuer eine Gutschrift bei der Finanzbehörde, die dem Leistungsempfänger, der bereits einen Vorsteuerabzug erreicht hat, einen korrespondierenden Betrag als Forderung vorschreibt.

Der bereicherungsrechtliche Ausgleich hat bei solchen Konstellationen demnach im Grundverhältnis zwischen Lieferant und Leistungsempfänger dadurch stattzufinden, dass ersterer den vom Leistungsempfänger zu Unrecht kassierten Entgeltsanteil in Höhe der Steuer rückerstattet.

Dem Einwand eines "Direktausgleichs" zwischen den Finanzämtern ist entgegenzuhalten: Hat der entreicherte Leistungsempfänger als Kläger anspruchsbegründend bewiesen, dass steuerrechtlich die Voraussetzungen der erfolgten Rechnungsberichtigung gegeben sind, ist damit durch Verwendung von Erfahrungsschlüssen iSe Anscheinsbeweises auch bewiesen, dass sich die Rechnungskorrektur der Lieferantin im Verhältnis zur Finanzbehörde aus steuerrechtlicher Sicht neutral auf das Vermögen von Lieferantin und Leistungsempfängerin ausgewirkt hat, weil damit zwar einerseits eine vermeintlich bestehende Steuerschuld der Lieferantin auf null herabgesetzt, andererseits aber in gleicher Höhe infolge des zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs eine Forderung gegenüber der Leistungsempfängerin begründet worden ist. Freilich stünde in diesem Fall der Beklagten die Entkräftung des Anscheinsbeweises offen, etwa durch den Nachweis der ernsthaften Möglichkeit, dass im Einzelfall vom steuerlichen Normalfall abgewichen worden und sie deshalb nicht bereichert ist. In diesem Fall hätte die Klägerin sodann den vollen Beweis für die behauptete Bereicherung der Beklagten zu erbringen.