18.11.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Bürgschaftsverträge, verdeckte Einlagenrückgewähr und Leistungsverweigerungsrecht gegenüber kreditgebender Bank (iZm Missbrauch der Vertretungsmacht)

Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften kann auch in der Bestellung von Sicherheiten für Dritte am Gesellschaftsvermögen oder an Teilen davon für Forderungen gegen Gesellschafter liegen; Verboten sind auch auf Veranlassung eines Gesellschafters vorgenommene Zuwendungen der Gesellschaft an einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten, so zB an eine Gesellschaft, an der der Gesellschafter selbst beteiligt ist; die Wirksamkeit des Vertrags beurteilt sich nach den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht; eine allgemeine Erkundigungs- und Prüfpflicht der Bank besteht nicht für alle Fälle denkmöglicher Einlagenrückgewähr, sondern ist nur dort zu fordern, wo sich der Verdacht schon so weit aufdrängt, dass er nahezu einer Gewissheit gleichkommt


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, Bürgschaftsverträge, verdeckte Einlagenrückgewähr, Leistungsverweigerungsrecht gegenüber kreditgebender Bank, Missbrauch der Vertretungsmacht
Gesetze:

§ 82 GmbHG, § 52 AktG, § 83 Abs 1 GmbHG, § 56 AktG, § 879 ABGB

GZ 7 Ob 35/10p, 29.09.2010

OGH: § 82 GmbHG verbietet im Prinzip jede Zuwendung der Gesellschaft an die Gesellschafter, die nicht Gewinnverwendung ist und schützt somit das gesamte Gesellschaftsvermögen und nicht nur den dem Stammkapital entsprechenden Teil. Unter die Kapitalerhaltungsvorschriften (§ 82 Abs 1 GmbHG; § 52 AktG) fallen Zuwendungen oder Vergünstigungen aller Art ohne Rücksicht darauf, ob sie in der Handelsbilanz der Gesellschaft oder des Gesellschafters einen Niederschlag finden. Jede unmittelbare oder mittelbare, offene oder im Gewand anderer Rechtsgeschäfte erfolgte verdeckte Leistung an einen Gesellschafter, der keine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht, ist vom Verbot der Einlagenrückgewähr erfasst. Unzulässig ist jeder Vermögenstransfer von der Gesellschaft zum Gesellschafter in Vertragsform oder auf andere Weise, die den Gesellschafter aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zu Lasten des gemeinsamen Sondervermögens bevorteilt. Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften kann auch in der Bestellung von Sicherheiten für Dritte am Gesellschaftsvermögen oder an Teilen davon für Forderungen gegen Gesellschafter liegen. Verboten sind auch auf Veranlassung eines Gesellschafters vorgenommene Zuwendungen der Gesellschaft an einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten, so zB an eine Gesellschaft, an der der Gesellschafter selbst beteiligt ist.

Ob eine Zuwendung als verbotene Einlagenrückgewähr zu qualifizieren ist, hängt nicht allein vom objektiven Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ab. Ein solches lässt nur auf verbotswidriges Handeln schließen. Die auf die Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung gestützte Vermutung des Gesellschaftergeschäfts kann im Wege des sog Dritt- oder Fremdvergleichs widerlegt werden. Zu prüfen ist, ob das Geschäft von der Gesellschaft auch dann geschlossen worden wäre, wenn der Gesellschaft nicht der Gesellschafter (der einem Gesellschafter nahestehende Dritte), sondern ein außenstehender Dritter gegenüber gestanden wäre, wenn also bei diesem Geschäft kein Gesellschafter daraus einen Vorteil zöge. Eine verdeckte Einlagenrückgewähr kann in diesem Sinn auch damit gerechtfertigt werden, dass besondere betriebliche Gründe im Interesse der Gesellschaft vorliegen, wenn dies nach der Formel des Fremdvergleichs dahin gedeckt ist, dass das Geschäft, das mangels objektiver Wertäquivalenz ein Vermögensopfer der Gesellschaft bedeutet, auch mit einem Außenstehenden geschlossen worden wäre.

Bei der Prüfung der Frage, ob ein objektiv sorgfältig handelnder Geschäftsleiter ein konkretes Rechtsgeschäft unter den gleichen Bedingungen auch mit einem außenstehenden Dritten abgeschlossen hätte, ist umfassend auf alle Vorteile abzustellen, die der Gesellschaft zukommen; diese können in einer monetären Gegenleistung, aber auch in sonstigen Vorteilen liegen, die sich aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Gesellschafter ergeben.

Wegen der (mittelbaren) Beteiligungen des Hauptgesellschafters (Ing S) der Beklagten an den kreditnehmenden Gesellschaften sind diese als ihm nahe stehende Dritte anzusehen. Die über Veranlassung des Ing S von der Beklagten übernommenen Bürgschaften für die der B GmbH, der B KG und der W KG gewährten Kredite bedingen die Vermutung des Vorliegens einer verdeckter Einlagenrückgewähr, weil der Beklagten keine Gegenleistung dafür zugekommen ist.

Es bedürfte daher einer betrieblichen Rechtfertigung für diese Zuwendungen, die aus der Sicht der Beklagten zum Zeitpunkt des Eingehens der Bürgschaftsverpflichtungen zu beurteilen wäre, um einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 82 GmbHG verneinen zu können.

Durch die Sicherheitenbestellung wird das Gesellschaftsvermögen vermindert, wobei diese Wertverschiebung bereits zum Zeitpunkt der Rechtsverbindlichkeit der Besicherung zu Lasten der Gesellschaft eintritt und damit den Verstoß gegen die Kapitalerhaltungspflicht verwirklicht.

Das Eingehen der Bürgschaften zu Lasten der Beklagten durch Ing S als ihren Geschäftsführer und Hauptgesellschafter verstößt gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 82 GmbHG und bedeutet zugleich eine Verletzung der Sorgfaltspflichten des Ing S als Geschäftsführer nach § 25 Abs 1 und 3 Z 1 GmbHG.

Normadressaten des in § 82 GmbHG und § 52 AktG enthaltenen Verbots der Einlagenrückgewähr sind die Gesellschaft und der Gesellschafter/Aktionär. Nur ausnahmsweise sind Dritte rückgabepflichtig oder ist ihnen gegenüber die Gesellschaft zur Leistungsverweigerung berechtigt, so bei Kollusion, aber auch in jenen Fällen, in denen der Gesellschafter bewusst zum Nachteil der Gesellschaft handelt und der Dritte davon wusste oder sich der Missbrauch ihm geradezu aufdrängen musste, dessen Unkenntnis somit auf grober Fahrlässigkeit beruht. Die Wirksamkeit des Vertrags beurteilt sich demnach nach den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht. Eine allgemeine Erkundigungs- und Prüfpflicht der Bank besteht nicht für alle Fälle denkmöglicher Einlagenrückgewähr, sondern ist nur dort zu fordern, wo sich der Verdacht schon so weit aufdrängt, dass er nahezu einer Gewissheit gleichkommt. Bei dieser Beurteilung kommt es auf die Möglichkeiten des Kreditgebers (hier der Klägerin) an, zu erkennen, dass die Zuwendungen an den Gesellschafter (den dem Gesellschafter nahestehenden Dritten) von keinem rechtfertigenden Sachverhalt (also ohne betriebliche Rechtfertigung) getragen waren und einem Fremdvergleich nicht standhielten. Die Beurteilung muss für den Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäfts vorgenommen werden.

Von der Lehre wird die neuere Judikatur zur Erkundigungspflicht einer kreditgebenden Bank - zutreffend - dahin interpretiert, dass in jenen Fällen, in denen das Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung schon bei erstem Anschein plausibel erscheint, und in denen keine Verdachtsmomente gegeben sind, die den Kreditgeber am Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung zweifeln lassen müssten, kein weiterer Überprüfungsbedarf in diese Richtung besteht; schon von vornherein hoch verdächtige Fälle lösen hingegen Erkundigungspflichten aus. Der Kreditgeber hat bei den Beteiligten nach der Gegenleistung nachzufragen, wobei er sich auf nicht offenkundig unrichtige Auskünfte verlassen darf.

Wesentlich für die Beurteilung der Frage, ob der klagenden Kreditgeberin und Sicherungsnehmerin die Nichtigkeit der Bürgschaftsverträge erfolgreich entgegen gehalten werden kann, ist ihr Kenntnisstand.