02.12.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Kartellrecht iZm Übernahme von Assets im Rahmen eines Insolvenzverfahrens

Stillgelegte Unternehmen behalten ihre Unternehmenseigenschaft, wenn eine Wiederaufnahme - durch den Unternehmer selbst oder durch einen Käufer - nicht unwahrscheinlich ist; der Erwerb von Unternehmensteilen unterliegt dem Kartellrecht, wenn damit der Übergang der betriebsbezogenen Marktanteile verbunden ist; wird ein Warenlager übernommen, so liegt ein unzulässiges Kartell schon dann nicht vor, wenn die Waren jederzeit anderweitig beschafft werden können; die Verstärkung der Marktposition durch den Erwerb von Unternehmensteilen unterliegt der Fusionskontrolle; Mitbewerber sind in diesem Verfahren nicht antragslegitimiert; ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot käme diesfalls höchstens dann in Betracht, wenn zur bloßen Verstärkung der Marktposition des marktbeherrschenden Unternehmens besondere Umstände hinzutreten, wie etwa wenn der Wettbewerb praktisch ausgeschaltet wird


Schlagworte: Kartellrecht, Kartellverbot, Missbrauchsverbot, Zusammenschlüsse, Unternehmensbegriff, stillgelegte Unternehmen, Übernahme von Assets im Rahmen eines Insolvenzverfahrens
Gesetze:

§ 1 KartG, § 5 KartG, § 7 KartG

GZ 16 Ok 6/10, 04.10.2010

OGH: Dem Kartellrecht liegt - schon aufgrund der nach § 20 KartG gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung - ein eigenständiger Unternehmensbegriff zugrunde. Der Unternehmensbegriff des § 1 Abs 1 KartG entspricht denjenigen des Art 101 Abs 1 AEUV (früher Art 81 EG). Dieser Begriff ist nach völlig einhelliger Auffassung funktional und weit auszulegen. Unternehmerisches Handeln erfordert Teilnahme am geschäftlichen Leistungsaustausch; ein Unternehmen ist jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit ist nicht erforderlich. Entscheidend ist allein der Umstand der wettbewerbsbeschränkenden Wirkung, die vom - wenn auch nur kurzzeitig bestehenden - Unternehmen verursacht wird und auch bloß durch ein einmaliges Geschäft bewirkt sein kann; auch die Unternehmensgröße ist unerheblich.

Weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als solche noch die im Zuge des Insolvenzverfahrens angeordnete Schließung des Unternehmens hat für sich genommen bereits den Wegfall eines Unternehmens im kartellrechtlichen Sinn zur Folge. Grund dafür ist nicht die Unternehmereigenschaft des Masseverwalters, wenngleich Freiberuflern nach ganz hA auch im kartellrechtlichen Sinn Unternehmereigenschaft zukommt. Auch ist nicht entscheidend, dass die vom Insolvenzverwalter abgeschlossenen Verträge Unternehmensgeschäfte sind. Vielmehr besteht nach hA eine Parallele zwischen dem Unternehmensbegriff des Kartellrechts und jenem des UWG. Der Masseverwalter ist nach dem UWG aber nach völlig hA passiv legitimiert.

Entscheidend ist der Zweck des Kartellrechts. Dieser liegt nach völlig einhelliger Auffassung in der Wahrung bzw Förderung des Wettbewerbs. Auch bei bereits stillgelegten Unternehmen kann aber mit der Übertragung von Assets die Übertragung von Marktanteilen einhergehen. Diese Marktanteile behalten auch einige Zeit nach Stilllegung des Betriebs ihren Wert. Aus diesem Grund verlieren selbst stillgelegte Unternehmen nicht ihre Unternehmenseigenschaft, wenn eine Wiederaufnahme - durch den Unternehmer selbst oder durch einen Käufer - nicht unwahrscheinlich ist.

Nach hA ist etwa auch einer GmbH trotz Stilllegung ihres Betriebs weiter Unternehmenseigenschaft zuzubilligen, wenn sie fortbesteht und über eine Herstellungs- und Vertriebsgemeinschaft weiterhin am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, über die zur Produktion erforderlichen Maschinen, über im Warenvertrieb laufend benutzte Maschinen und beträchtliche Geldmittel verfügt und daher die spätere Wiederaufnahme der Produktion nicht ausgeschlossen wird.

Nach der E 16 Ok 8/01 kann der Begriff des "wesentlichen Teils einer Betriebsstätte" auch Teilerwerbe einer Betriebsstätte umfassen, wenn dafür gesorgt ist, dass der betriebsbezogene Marktanteil auf den Erwerber übergeht. Demnach stellt eine selbständig geführte Parfümerieabteilung in einem Kaufhaus jedenfalls einen "wesentlichen Teil" dar, wenn damit der Übergang der Marktanteile verbunden ist. Entscheidendes Kriterium ist daher, ob einem gewissen Unternehmensteil ein Marktanteil zugewiesen werden kann.

Nach Entscheidungen der Europäischen Kommission kann die Erlangung der Kontrolle über Vermögenswerte dann als Zusammenschluss angesehen werden, wenn einem Geschäftsbereich mit eigener Marktpräsenz eindeutig ein Marktumsatz zugeordnet werden kann. Die Übertragung des Kundenstamms eines Geschäftsbereichs oder die Übertragung bestimmter Lizenzen kann diese Kriterien erfüllen, wenn dadurch ein Geschäftsbereich mit Marktumsatz übertragen wird.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so könnte die Übertragung eines Warenlagers die damit verbundene wirtschaftliche zukünftige (wenn auch nur teilweise) Weiterführung der bisherigen Tätigkeit des Gemeinschuldners ermöglichen. Der bloße Abtransport der gekauften Ware - wenn auch aufgrund des Umfangs des Lagers über einen Zeitraum von 60 Tagen - reicht demgegenüber nicht aus, eine wirtschaftliche Tätigkeit am ursprünglichen Standort - wie dies der Bundeskartellanwalt in seinem Rekurs vertritt - zu begründen.

Wenngleich die Anwendbarkeit des § 1 KartG ebenso wenig wie diejenige des § 7 KartG daher im vorliegenden Fall noch nicht per se an der fehlenden Unternehmereigenschaft der Zweitantragsgegnerin scheitert, kommt ein Verstoß gegen § 1 KartG schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich beim übernommenen Warenlager nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin "zum Großteil" um "Commodities", also um grundsätzlich problemlos beschaffbare Rohstoffe handelt. Diese jederzeitige anderweitige Beschaffbarkeit spricht jedenfalls gegen das Vorliegen eines unzulässigen Kartells. Die Überlegung, dass das Vorhandensein anderer Bezugsmöglichkeiten gegen das Vorliegen eines unzulässigen Kartells spricht, entspricht auch in anderem Zusammenhang, nämlich bei Einkaufsgemeinschaften, der hA.

Anwendbarkeit des § 7 KartG:Bei der Fusionskontrolle handelt es sich um eine Marktstrukturkontrolle, während Kartell- und Missbrauchsregeln das Marktverhalten kontrollieren. Das Charakteristische des Zusammenschlusses ist, dass mehrere Unternehmen unter Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit dauerhaft unter einheitlicher wirtschaftlicher Leitung zusammengefasst werden. Der Zusammenschluss bewirkt daher eine dauerhafte Änderung der Marktstruktur. Die unterschiedliche Behandlung von Zusammenschlüssen einerseits und Kartellen bzw dem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung andererseits wird vielfach damit begründet, dass das Kartell und der Missbrauch bereits als solche die Wettbewerbsbeschränkung verwirklichen, weil dadurch unmittelbar auf Preise, Produktionsmengen oder Qualität etc Einfluss genommen wird, während bei Konzentrationsvorgängen abträgliche Marktergebnisse allenfalls als Nebenfolge einer veränderten Unternehmensstruktur erscheinen.

Nach der Rsp besteht das Wesen der Unternehmenskonzentration (des Zusammenschlusses) - und gleichzeitig der entscheidende Unterschied zu Kartellen - gerade darin, dass zwei oder mehrere Unternehmen unter Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit auf Dauer unter einheitlicher wirtschaftlicher Leitung zusammengefasst werden. Bewirkt das Kartell eine Verhaltensbindung, wird durch den Zusammenschluss die interne Unternehmensstruktur geändert.

Die Zusammenschlusskontrolle soll wettbewerbsschädliche Konzentrationsprozesse von vornherein unterbinden. Demgegenüber setzt das Missbrauchsverbot erst eine Stufe später an, weil es Marktbeherrschung als Tatbestandsmerkmal voraussetzt und nur deren Missbrauch verbietet. Nach hL ist § 5 KartG auf Beteiligungsvorgänge nicht anwendbar; insoweit kommt den spezielleren Regeln über die Zusammenschlusskontrolle der Vorrang zu.

Würde die "bloße" Verstärkung einer Marktposition durch Ankauf von Unternehmensanteilen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen per se bereits den Missbrauchstatbestand des § 5 KartG erfüllen, so würde die Grenze zur Regelung der Fusionskontrolle des § 11 KartG aufgehoben. Damit würde aber das in § 36 Abs 2 KartG festgelegte Antragsmonopol der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts umgangen. Einzelne Mitbewerber wie die Antragstellerin könnten dann über den Umweg des Missbrauchsverbots einen Einfluss auf das Zusammenschlussverfahren erlangen, den ihnen der Gesetzgeber gerade nicht zubilligen wollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Einfluss von Mitbewerbern bei der Zusammenschlusskontrolle bewusst auf die Erstattung von Stellungnahmen gegenüber der Bundeswettbewerbsbehörde beschränkt und ausdrücklich angeordnet, dass der Einschreiter kein Recht auf eine bestimmte Behandlung seiner Äußerung hat (§ 10 Abs 4 KartG).

Sanierungsfusion:Unter dem Schlagwort der "failing company defence" oder "Sanierungsfusion" werden die für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Übernahme von in Insolvenz befindlichen Unternehmen geltenden Regeln zusammengefasst. Demnach ist eine Sanierungsfusion trotz Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zulässig, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss feststehen, dass- das erworbene Unternehmen ohne die Übernahme aus dem Markt ausscheiden würde,- dass es keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative gibt, insbesondere kein anderer Erwerber für das finanziell angeschlagene Unternehmen zur Verfügung steht, und- dass die Marktposition des erworbenen Unternehmens im Falle seines Ausscheidens aus dem Markt dem erwerbenden Unternehmen zuwachsen würde.

Diese Kriterien gelten jedoch nur für die kartellrechtliche Beurteilung von Zusammenschlüssen, nicht auch für das Kartellverbot des § 1 KartG oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung iSd § 5 KartG. Außerhalb der Zusammenschlusskontrolle bedeutet der Umstand, dass die angeführten Ausnahmetatbestände nicht erfüllt sind, daher nicht automatisch, dass ein Kartellverstoß iSd § 1 KartG oder ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorläge. Dass es zu einem bestimmten Verhalten "weniger wettbewerbsschädliche Alternativen" gibt, reicht daher für sich genommen nicht aus, die Kartellrechtswidrigkeit dieses Verhaltens zu begründen. Die pauschale Berufung auf die "Wettbewerbsschädlichkeit" kann die Erfüllung der konkreten Tatbestände der §§ 1, 5 KartG nicht ersetzen.

Zum behaupteten Verstoß gegen das Missbrauchsverbot:Ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot kann nicht schon darin liegen, dass der Erwerb des Warenlagers einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss darstellen könnte. Zur Erfüllung des Missbrauchstatbestands ist erforderlich, dass zur bloßen Verstärkung der Marktposition des marktbeherrschenden Unternehmens besondere Umstände hinzutreten, wie etwa eine praktische Ausschaltung des Wettbewerbs.