12.12.2007 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Weiterleitungspflicht gem § 361 Abs 4 ASVG

Der Sozialversicherungsträger (oder eine zur Weiterleitung gem § 361 Abs 4 ASVG verpflichtete Behörde) ist nicht verpflichtet, jedes Anbringen, dem erkennbare Hinweise auf ein bestimmtes Begehren fehlen, nach allen Richtungen dahin "auszuloten", "wer mit der Eingabe allenfalls sonst noch befasst werden kann", um eine mögliche "versteckte" Antragstellung aufzuspüren


Schlagworte: Sozialrecht, Versicherungsträger, Antrag, Weiterleitungspflicht
Gesetze:

§ 361 Abs 4 ASVG

GZ 10 ObS 110/07k, 11.09.2007

OGH: Anträge auf Leistungen sind gem § 361 Abs 4 Satz 1 ASVG beim örtlich und sachlich zuständigen Versicherungsträger einzubringen. Langt ein Antrag jedoch bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung ein, so ist der Antrag gem Satz 2 dieser Bestimmung ohne unnötigen Aufschub an den zuständigen Versicherungsträger weiterzuleiten. Diese Weiterleitungspflicht besteht auch dann, wenn ein Antrag an einen zuständigen Versicherungsträger erkennbar zusätzlich ein Begehren beinhaltet, zu dessen Entscheidung ein anderer Sozialversicherungsträger zuständig ist. Es ist nun zwar richtig, dass bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, also der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss. Der Versicherte soll insbesondere davor geschützt werden, materiell bestehende Ansprüche aus formellen Gründen zu verlieren. Die Fiktion von tatsächlich nicht gestellten Anträgen lässt sich freilich - wie der OGH bereits mehrfach betont hat - auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten.

Der vom Kläger am 19. 10. 1999 beim bosnischen Versicherungsträger unter Verwendung eines zwischenstaatlichen Formblattes gestellte Antrag auf Gewährung einer "Invaliditätspension" wurde an die allein leistungszuständige PVA weitergeleitet. Die PVA hat diesen Antrag in sozialer Rechtsanwendung (vgl die in SSV-NF 18/78 dargestellten Ausnahmefälle, in denen aufgrund von Anträgen auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension bescheidmäßig [auch] über vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit abgesprochen wurde, wenn der Versicherte die altersmäßigen Voraussetzungen für diese Pensionsleistung nach § 253d ASVG erfüllte) als solchen auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) behandelt und darüber bescheidmäßig abgesprochen. Der Sozialversicherungsträger (oder eine zur Weiterleitung gem § 361 Abs 4 ASVG verpflichtete Behörde) ist aber nicht verpflichtet, jedes Anbringen, dem erkennbare Hinweise auf ein bestimmtes Begehren fehlen, nach allen Richtungen dahin "auszuloten", "wer mit der Eingabe allenfalls sonst noch befasst werden kann", um eine mögliche "versteckte" Antragstellung aufzuspüren. Sind daher in einem Pensionsantrag keinerlei Hinweise darauf enthalten, dass der Versicherte neben der ausdrücklich beantragten auch noch eine andere Leistung anstrebt, und würde der Versicherungsträger dennoch in dieser Richtung tätig, würde er einen Antrag des Versicherten fingieren, was auch aus dem Grundsatz der sozialen Rechtsanwendung nicht abgeleitet werden könnte. Für die PVA bestanden im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, der Pensionsantrag des Klägers umfasse neben der ausdrücklich beantragten Leistung auch einen Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 131c GSVG, zumal die PVA für die Gewährung der vom Kläger beantragten Pension nach den maßgebenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften allein leistungszuständig war und das von der PVA anzuwendende Leistungsrecht des ASVG eine solche Pensionsleistung gar nicht vorsieht. Es bestand für die PVA aber auch kein Anlass, den Pensionsantrag des Klägers an die - gar nicht leistungszuständige - beklagte Partei weiterzuleiten. Da der Pensionsantrag des Klägers somit nicht auch als Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 131c GSVG zu werten ist, liegt auch kein Säumnisfall iSd § 67 Abs 1 Z 2 lit b ASGG vor.