03.02.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Haftung des Frachtführers nach § 429 UGB - Beweislastumkehr und Aufklärungsobliegenheit

Die Verletzung der nach § 184 ZPO zu beurteilenden Darlegungsobliegenheit des schädigenden Frachtführers kann Anlass für den Tatrichter sein, bestimmte Prozessbehauptungen des für grobes Verschulden und Vorsatz beweispflichtigen Geschädigten für wahr zu halten


Schlagworte: Unternehmensrecht, Frachtführer, Haftung, Verschulden, Beweislastumkehr, Darlegungsobliegenheit
Gesetze:

§ 429 UGB, § 184 ZPO

GZ 7 Ob 186/10v, 24.11.2010

OGH: Die Entlastungsobliegenheit für mangelndes Verschulden trifft gem § 429 Abs 1 UGB den Frachtführer. Diese Regelung über die Umkehr der Beweislast erfasst jedoch nur das leichte Verschulden. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssen auch hier grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden. Die besondere frachtrechtliche Situation kann jedoch dazu führen, dass der Geschädigte mit dem Beweis von Umständen belastet wird, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung nicht kennen kann. Den Frachtführer trifft in diesen Fällen nach Treu und Glauben eine Darlegungsobliegenheit über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Guts und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen. Die Revision verkennt die Unterscheidung zwischen Beweislastumkehr und Darlegungsobliegenheit des Frachtführers. Eine Verschiebung der Beweislast ist nach stRsp auf Ausnahmefälle beschränkt. Eine Umkehr der Behauptungs- und Beweislast soll nach der Judikatur für das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht eintreten. Vielmehr wird von der Rsp das Vorliegen einer Aufklärungsobliegenheit des Frachtführers gegenüber dem Geschädigten über die Umstände, die in seiner Sphäre liegen, bejaht, die aus § 184 ZPO abgeleitet wird. Ob eine Partei durch ihre Antwort auf eine gem § 184 Abs 1 ZPO gestellte Frage ihrer Aufklärungsobliegenheit nachgekommen ist, ist von der jeweiligen Konstellation abhängig und kann allgemein nicht beantwortet werden. Eine aus § 184 ZPO abgeleitete Verletzung der prozessualen Aufklärungsobliegenheit kann sich daher nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken. Ein anderes Ergebnis käme einer Umkehr der Behauptungs- und Beweislast gleich. Die Verletzung der prozessualen Aufklärungsobliegenheit kann Anlass für den Tatrichter sein, bestimmte Prozessbehauptungen des Gegners für wahr zu halten. Da die Darlegungsobliegenheit auf § 184 ZPO gründet, lassen sich die Revisionsausführungen, die eine "vorprozessuale" Auskunftspflicht statuieren, mit der Judikatur nicht vereinbaren.

Der OGH hat bereits in seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang 7 Ob 118/08s die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen die Haftung des Frachtführers bei gänzlichem oder teilweisem Verlust des Guts zu beurteilen ist und darauf hingewiesen, dass die Frage des Verschuldens eine solche des Einzelfalls ist. Ausgehend von der ergänzten Sachverhaltsgrundlage kommen Diebstähle im Bereich der Nationalstraße 4 (in der Nähe von Paris) nur selten vor. Der Fahrer stellte sein Fahrzeug auf einem großen, beleuchteten und "bereits mit anderen LKWs vollgeparkten" Parkplatz ab, wobei keine gesichertere Abstellmöglichkeit in diesem Bereich gegeben war, und schlief im Fahrzeug, um die vorgeschriebenen Ruhepausen einzuhalten. Der Diebstahl erfolgte durch Aufbrechen des Schlosses der Ladetüren. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem widerbeklagten Frachtführer kein Verschulden anzulasten ist, hält sich im Einzelfall im Rahmen der Judikatur.