09.01.2008 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Mitteilungspflicht des begünstigten Behinderten bei Anbahnung des Arbeitsverhältnisses ?

Der Arbeitnehmer muss keineswegs alles tun oder unterlassen, was dem Arbeitgeber nützlich oder abträglich sein könnte; teilt der behinderte Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bei Eingehen eines Arbeitsverhältnisses seine Begünstigteneigenschaft nicht mit, kann das Interesse an der Erlangung des angestrebten Arbeitsplatzes das Informationsinteresse des Arbeitgebers übersteigen


Schlagworte: Begünstigter Behinderter, Mitteilungspflicht, Schadenersatzrecht, Treuepflicht
Gesetze:

BEinstG, §§ 1295 ff ABGB

GZ 9 ObA 46/07s, 28.09.2007

Der Klägerin war die Begünstigteneigenschaft auf der Basis eines Behinderungsgrads von 80 vH bereits rund fünf Jahre vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zuerkannt worden. Die Beklagte macht geltend, dass ihr durch das Verschweigen der Begünstigtenstellung der Klägerin Förderungen und steuerliche Begünstigungen im Ausmaß von EUR 5.103,47 und EUR 461,76 entgangen und demzufolge Schäden in dieser Höhe entstanden seien.

OGH: Die Rechtsprechung bejaht im Einklang mit der Lehre die grundsätzliche "Pflicht" des Arbeitnehmers, die ihm bekannte Eigenschaft als begünstigter Behinderter dem Arbeitgeber mitzuteilen, weil es sich dabei um eine Angelegenheit handelt, die infolge gesetzlicher Bestimmungen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hat.

Die Mitteilungspflicht des begünstigten Behinderten ist nicht in den besonderen Schutzpflichten des Arbeitgebers, sondern in der "Treuepflicht" des Arbeitnehmers, die in einem gewissen Rahmen auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen hat, begründet. Dieser Ansatz macht deutlich, dass die Mitteilungspflicht (iwS) zwei Ausprägungen hat. Nach Auffassung des Senats besteht einerseits eine Mitteilungspflicht (ieS), die sich aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ableitet, andererseits aber auch eine reine "Mitteilungsobliegenheit" des Arbeitnehmers, deren Erfüllung in Wahrung eigener Interessen Voraussetzung für bestimmte Ansprüche des Arbeitnehmers ist.

Wird eine Haftung des Arbeitnehmers wegen Verletzung der Mitteilungspflicht (ieS) geltend gemacht, dann muss die Grundlage dieser Verpflichtung in der "Treuepflicht" des Arbeitnehmers beachtet werden. Eine allgemeine Treuepflicht ist zwar nur in Ansätzen im Gesetz verankert (vgl § 76 GewO 1859; § 27 Z 1 AngG ua); ihre Existenz ist jedoch in Lehre und Rechtsprechung unstrittig.

Die Treuepflicht verhält den Arbeitnehmer (nur) "in einem gewissen Rahmen" dazu, auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dies macht deutlich, dass der Treuepflicht bewegliche Schranken immanent sind. Die Treuepflicht stößt vor allem dort an ihre Grenzen, wo ihr elementare Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers ist keine umfassende Interessenwahrungspflicht. Der Arbeitnehmer muss keineswegs alles tun oder unterlassen, was dem Arbeitgeber nützlich oder abträglich sein könnte. Damit würde er gleichsam zum Garanten der Interessen des Arbeitgebers, obwohl er doch nur die Leistung bestimmter Arbeiten zugesagt hat. Im Fall eines behinderten Arbeitnehmers liegen dessen Interessen auf der Hand. Sie manifestieren sich ua im BEinstG, dessen Gegenstand und Zweck es ist, die Eingliederung von schwer behinderten Menschen in Arbeit, Beruf und damit zugleich in die Gesellschaft durch besondere Maßnahmen zu sichern. Die wesentlichen Schutzmaßnahmen, die das BEinstG dem begünstigten Behinderten gewährt, sind die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers (§ 1 BEinstG) und der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers (§ 8 BEinstG). Die Beschäftigungspflicht verschafft dem begünstigten Behinderten einen Arbeitsplatz; der Kündigungsschutz hilft ihm, diesen Arbeitsplatz zu erhalten.

Zweifellos hat ein Arbeitgeber ein Interesse daran, von der Behinderteneigenschaft des Arbeitnehmers zu erfahren. Diesem Informationsinteresse des Arbeitgebers steht jedoch das Interesse des Arbeitnehmers auf Erlangung des von ihm angestrebten Arbeitsplatzes gegenüber. Hätte nun die Klägerin bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses ihre Behinderteneigenschaft offen gelegt, wäre ihre Eingliederung in das Arbeitsleben wesentlich erschwert gewesen.

Mit der Offenlegung der Begünstigteneigenschaft bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wäre der Zweck des BEinstG, Behinderten die Anknüpfung von arbeitsrechtlichen Beziehungen zu erleichtern, ins Gegenteil verkehrt worden. Abgesehen davon, dass die Treuepflicht im arbeitsvertraglichen Vorstadium noch nicht so stark ausgeprägt ist, verhält sie den Arbeitnehmer nur "in einem gewissen Rahmen" dazu, auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Da sich die Behinderung der Klägerin nach der Aktenlage bei ihrer Tätigkeit als Näherin für die Beklagte nicht leistungsmindernd auswirkte, drängte sich auch im Verlauf des Arbeitsverhältnisses die Annahme eines diesbezüglichen besonderen Informationsbedürfnisses der Beklagten für die Klägerin nicht auf. Für sie war nach der Lage des Falls auch nicht absehbar, dass der Beklagten wegen der Nichtbekanntgabe der Begünstigteneigenschaft Förderungen oder Steuerbegünstigungen entgehen könnten. Die Klägerin konnte auf Grund der Benachrichtigung durch das Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. 7. 1999 davon ausgehen, dass die Bundessozialämter die Arbeitgeber ohnehin in Wahrung von deren berechtigten Interessen über die Begünstigteneigenschaft von Arbeitnehmern informieren müssen und werden. Sie trifft daher kein Verschuldensvorwurf bezüglich der Nichtbekanntgabe der Begünstigung nach dem BEinstG, weshalb hier weder auf andere Schadenersatzvoraussetzungen noch auf Fragen der Schadensminderungspflicht eingegangen werden muss.